Entscheidungsstichwort (Thema)

Beweisbedürftigkeit der Ergebnisse standardisierter Messverfahren

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Geschwindigkeitsmessung mit dem Lasermessgerät 'Riegl FG21-P' erfüllt die Anforderungen an ein sog. standardisiertes Messverfahren im Sinne der Rspr. des Bundesgerichtshofs (BGHSt 39, 291; 43, 277), d.h. eines durch Normen vereinheitlichten (technischen) Verfahrens, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf derart festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (st.Rspr.; Anschluss u.a. an OLG Koblenz, Beschluss vom 12.01.2010 - 1 SsBs 127/09 [bei [...]] = BeckRS 2010, 05511 und KG VRS 116 [2009], 446).

2. Der in Kenntnis aller maßgeblichen - auch patent- und urheberrechtlich geschützten - Herstellerinformationen erfolgten Bauartzulassung durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) kommt die Funktion eines antizipierten Sachverständigengutachtens zu, mit dem die generelle Zuverlässigkeit und Geeignetheit des Messgeräts verbindlich festgestellt ist und weitere Informationen zu seiner Funktionsweise entbehrlich sind. Bei Vorliegen eines geeichten Geräts, welches durch geschultes Personal entsprechend den Vorgaben der Bedienungsanleitung des Herstellers eingesetzt wurde, ist damit die Richtigkeit des gemessenen Geschwindigkeitswerts indiziert mit der Folge, dass für die Annahme einer rechtlichen Unverwertbarkeit der Messergebnisse auch dann kein Raum verbleibt, wenn ein beauftragter Sachverständiger, etwa mangels Zugangs zu den patent- und urheberrechtlich geschützten Herstellerinformationen, die genaue Funktionsweise nicht im Einzelnen nachvollziehen kann (u.a. Anschluss an OLG Frankfurt DAR 2015, 149 = BeckRS 2015, 04646; OLG Köln NZV 2013, 459 = DAR 2013, 530 = VerkMitt 2013, Nr. 62 = VRS 125 [2013] Nr. 13; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 17.07.2015 - 2(7) SsBs 212/15 [bei [...]] und VRS 127 (2014), Nr. 60 = NZV 2015, 150; OLG Bamberg, Beschl. v. 26.04.2013 - 2 Ss OWi 349/13 = DAR 2014, 38 = OLGSt StPO § 261 Nr. 21; OLG Zweibrücken DAR 2013, 38 = ZfS 2013, 51; OLG Schleswig, Beschl. v. 31.10.2013 - 1 Ss OWi 141/13 [bei [...]] = SchlHA 2013, 450; KG VRS 118 [2010] Nr. 99; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 14.07.2014 - 1 Rbs 50/14 [bei [...]]).

3. Eine nähere (tatrichterliche) Überprüfung des Messwertes ist nur geboten, wenn sich im Einzelfall bestimmte Anhaltspunkte ergeben, die geeignet sind, konkrete Zweifel an der Funktionstüchtigkeit oder sachgerechten Handhabung des eingesetzten standardisierten Messgeräts und deshalb an der Richtigkeit des Messergebnisses zu begründen. Sollen die behaupteten Fehlerquellen dagegen nicht in dem konkret durchgeführten Messvorgang selbst, sondern allgemein oder strukturell in der Messtechnik, der Messsoftware oder der Auswertesoftware des Messgerätes angelegt sein, müssen bei dem Tatrichter Zweifel an der Richtigkeit der Messung erst dann aufkommen, wenn sich Umstände ergeben, die es im konkreten Einzelfall als plausibel erscheinen lassen, dass die Messung trotz der Zulassung des Messgeräts durch die PTB fehlerbehaftet sein könnte (u.a. Anschluss an OLG Frankfurt DAR 2015, 149 = BeckRS 2015, 04646).

 

Normenkette

OWiG § 71; StPO § 267 Abs. 1 S. 3; StVG § 25 Abs. 1 S. 1 Alt. 1; StVO § 3 Abs. 3 Nr. 2c; BKatV § 4 Abs. 1 S. 1; OWiG §§ 79-80; StPO § 261; StVG § 24

 

Tatbestand

Das AG hat den Betr. vom Vorwurf einer als Führer eines Motorrades begangenen fahrlässigen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 66 km/h aus tatsächlichen Gründen freigesprochen, weil nach dem von ihm eingeholten Sachverständigengutachten infolge der nicht offengelegten Funktionsweise des Geschwindigkeitsmessgerätes 'Riegl FG21-P' eine Fehlmessung nicht auszuschließen sei. Die gegen den Freispruch gerichtete Rechtsbeschwerde der StA führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das AG durch das OLG, nachdem der an sich zur Entscheidung berufene Einzelrichter die Sache gem. § 80a III 1 i.V.m. I OWiG zur Sicherung einer einheitlichen Rspr. dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit 3 Richtern übertragen hat.

 

Entscheidungsgründe

I. Die gemäß § 79 I 1 Nr. 3 OWiG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde erweist sich bereits aufgrund der erhobenen Sachrüge als - zumindest vorläufig - erfolgreich, so dass es auf die darüber hinaus erhobenen verfahrensrechtlichen Beanstandungen nicht mehr ankommt. Die Beweiswürdigung im angefochtenen Urteil hält einer materiell-rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das AG hat die Anforderungen an die Sachverhaltsaufklärung und den Umfang der Beweisaufnahme bei Verwendung eines sog. standardisierten Messverfahrens grundlegend verkannt und seinem Urteil ein rechtlich fehlerhaftes Verständnis des Zweifelssatzes zugrunde gelegt.

1. Nach den Feststellungen in dem angegriffenen Urteil hat der Betr., der seine Fahrereigenschaft eingeräumt hatte, die Ordnungsgemäßheit der verfahrensgegenständlichen Geschwindigkeitsmessung be...

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