Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Wiedereinsetzung bei Zurückweisung eines zweiten Fristverlängerungsantrags zur Berufungsbegründung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die verfassungsrechtliche Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) verpflichtet die Fachgerichte, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zu einem Abschluss zu bringen. Da es keine allgemeingültigen Zeitvorgaben für die Erledigung von gerichtlichen Verfahren gibt und auch der Rechtsprechung des EGMR keine verbindlichen Richtlinien entnommen werden können, ist die Angemessenheit der Dauer eines Verfahrens stets nach den besonderen Umständen des einzelnen Falles zu bestimmen. (Rn. 21)

2. Bei der Bewilligung von Fristverlängerungen kann in sog. Massenverfahren zu berücksichtigen sein, dass auch die Kapazitäten der regelmäßig beteiligten Rechtsanwaltskanzleien den mittlerweile seit Jahren festzustellenden Anforderungen jener "Massenverfahren" anzupassen sind und jedenfalls in den beteiligten Rechtsanwaltskanzleien allein aufgrund der Ähnlichkeit der "Massenverfahren" regelmäßig Synergieeffekte (u.a. umfangreiche Verwendung von Textbausteinen) genutzt werden. (Rn. 22)

3. Wird mit der Bewilligung der beantragten Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist zugleich darauf hingewiesen, dass eine weitere Fristverlängerung grundsätzlich nicht in Betracht kommen werde, kann auch die vom Prozessgegner erklärte Einwilligung mit einer nochmaligen Fristverlängerung ein Vertrauen in eine stattgebende gerichtliche Entscheidung nicht begründen, da es sich hierbei lediglich um eine gesetzliche Voraussetzung des § 520 Abs. 2 Satz 2 und 3 ZPO für eine mehr als einen Monat betragende Fristverlängerung handelt. (Rn. 19 und 20)

4. Muss der Rechtsanwalt aufgrund eines ausdrücklichen gerichtlichen Hinweises mit der Ablehnung seines zweiten Fristverlängerungsantrags rechnen, darf er die einmal verlängerte Frist gerade nicht, wie bei einem erstmaligen Fristverlängerungsantrag, vollständig ausschöpfen, zumal er - für den Fall der Antragsablehnung - zwingend noch einen zumindest kurzen Zeitraum benötigt (und deshalb einplanen muss), die notwendige Prozesshandlung doch noch vornehmen zu können. (Rn. 24 - 26)

 

Normenkette

EMRK Art. 6 Abs. 1 S. 1; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3; ZPO § 85 Abs. 2, §§ 233-234, 236, 520 Abs. 2 Sätze 2-3

 

Verfahrensgang

LG Würzburg (Aktenzeichen 22 O 556/18)

 

Tenor

I. Der Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist wird zurückgewiesen.

II. Dem Kläger wird nochmals bis 15.05.2019 Gelegenheit zur Stellungnahme auf den Hinweisbeschluss des Senats vom 11.03.2019 eingeräumt.

 

Gründe

I. Der Kläger beantragt Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist.

Im zugrunde liegenden Rechtsstreit begehrt der Kläger Feststellung, dass die beklagte Fahrzeugherstellerin zum Schadensersatz verpflichtet ist für Schäden, die daraus resultieren, dass der von ihm im Jahr 2013 als Gebrauchtfahrzeug erworbene PKW X. dahingehend beeinflusst sei, dass es hinsichtlich der Abgasstoffmenge im Prüfstandbetrieb einen geringeren Ausstoß aufweise als im regulären Straßenbetrieb.

Das Landgericht Würzburg hat die Klage mit Endurteil vom 27.11.2018 abgewiesen. Gegen die seinen Prozessbevollmächtigten am 06.12.2018 zugestellte Entscheidung hat der Kläger mit Anwaltsschriftsatz vom 03.01.2019, bei dem Oberlandesgericht Bamberg eingegangen am selben Tag, form- und fristgerecht Berufung eingelegt.

Mit Schriftsatz vom 05.02.2019 beantragten die Prozessbevollmächtigten des Klägers eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 06.03.2019.

Mit Verfügung des Vorsitzenden des 8. Zivilsenats vom 06.02.2019 wurde die beantragte Fristverlängerung bewilligt. Zugleich wurde jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, "dass eine weitere Fristverlängerung grds. nicht in Betracht kommen" werde (Bl. 491 d.A.).

Mit Schriftsatz vom 05.03.2019, eingegangen bei dem Oberlandesgericht am selben Tag um 11:31:47 Uhr, beantragten die Prozessbevollmächtigten des Klägers die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 06.05.2019. Es läge eine Zusage der Prozessbevollmächtigten der Prozessgegnerin vor und dringende termingebundene Angelegenheiten sowie eine Ballung von Fristen ermöglichten es den Antragstellern nicht, innerhalb der gesetzten Frist die Berufung zu begründen. Außerdem befänden sich die Parteien in vielversprechenden Vergleichsverhandlungen (Bl. 494 d.A.).

Mit Verfügung des stellvertretenden Vorsitzenden des 8. Zivilsenats vom 06.03.2019 wurde dieser zweite Fristverlängerungsantrag zurückgewiesen. Wegen der Begründung wird auf die Verfügung (Bl. 494 d.A.) Bezug genommen. Anschließend scheiterten sechs Versuche der Geschäftsstelle des Senats, die Verfügung per Fax (vgl. zu Bl. 494 d.A.) an die Kanzlei des klägerischen Prozessbevollmächtigten zu übermitteln, weil eine Verbindung mit dem Fax-Gerät der Kanzlei der klägerischen Prozessbevollmächtigten nicht he...

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