Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur deliktischen Einstandspflicht beim Kauf eines betroffenen Fahrzeugs nach Bekanntwerden des Abgasskandals
Leitsatz (amtlich)
1. In den Fällen des Erwerbs eines Dieselfahrzeugs mit einer manipulierten Software muss eine sittenwidrige "Veranlassung" der Beklagten auch noch bei Abschluss des konkreten Kaufvertrags vorgelegen haben; d.h. gerade der schadensträchtige Erwerb durch die betroffene Klägerseite muss auf ein Gesamtverhalten der Beklagten zurückzuführen sein, welches das Unwerturteil der Verwerflichkeit rechtfertigt (ebenso OLG Stuttgart BeckRS 2020, 2054). (Rn. 7)
2. Ab Mitte Oktober 2015 kann nicht mehr davon ausgegangen werden, dass die Kaufverträge über Dieselfahrzeuge mit dem Motor EA 189 wie zuvor von der Beklagten in sittenwidriger Weise "veranlasst" worden waren. (Rn. 11)
3. Die dargelegten Maßnahmen der Beklagten waren nach Inhalt und Umfang ohne weiteres ausreichend, um die Öffentlichkeit sowie die Besitzer betroffener Dieselfahrzeuge über das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung zu informieren. Im Hinblick auf die absehbare Unterrichtung der Öffentlichkeit durch die nachfolgende Berichterstattung in der Presse waren die Verlautbarungen der Beklagten daher jedenfalls ab Mitte Oktober 2015 geeignet, das Fortwirken des Sittenwidrigkeitsverdikts zu verhindern. (Rn. 19)
Normenkette
BGB § 826; GKG § 47 Abs. 1 S. 1, § 63 Abs. 2; ZPO § 291
Verfahrensgang
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Würzburg vom 12.11.2019 wird gemäß § 522 Abs. 2 ZPO einstimmig zurückgewiesen.
II. Der Kläger hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III. Das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 12.11.2019 ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 24.803,58 EUR festgesetzt.
Gründe
Die zulässige Berufung des Klägers ist durch einstimmigen Beschluss des erkennenden Senats ohne mündliche Verhandlung zurückzuweisen, weil sie ohne jedwede Aussicht auf Erfolg und somit offensichtlich unbegründet ist.
Zur Begründung wird auf den Beschluss vom 19.02.2020, in welchem auf die beabsichtigte Verfahrensweise hingewiesen worden ist, Bezug genommen. Die dagegen vorgebrachten Einwände im Schriftsatz des Klägervertreters vom 11.03.2020 geben keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung. Hierzu ist lediglich noch auszuführen:
I. Im Streitfall scheitert eine deliktische Einstandspflicht der Beklagten wegen sittenwidriger Täuschung der Klägerseite von vornherein daran, dass der Kauf des Fahrzeugs erst nach dem Bekanntwerden des sog. Abgasskandals erfolgt ist und es daher schon am notwendigen Zurechnungszusammenhang zwischen einem etwaigen Sittenverstoß und dem Schadenseintritt fehlt.
l. Ein Rechtswidrigkeitszusammenhang und damit eine Zurechenbarkeit des Schadens besteht nur dann, wenn der Schaden sich innerhalb des Schutzbereichs der verletzten Norm verwirklicht; es muss ein innerer Zusammenhang mit der durch den Schädiger hervorgerufenen Gefahrenlage bestehen (BGH NJW-RR 1972, 36, 37).
a) Der der Beklagten angelastete Sachverhalt erschöpft sich nämlich nicht darin, dass sie Fahrzeuge mit einer gesetzwidrigen Motorsteuerung hergestellt und in den Verkehr gebracht hatte; vielmehr liegt der haftungsbegründende Schwerpunkt darin, dass sie damit gegenüber den Kaufinteressenten zugleich den Eindruck erweckt hatte, das Fahrzeug entspreche den Zulassungsbestimmungen (in diesem Sinne schon OLG Oldenburg MDR 20, 286, Rn. 13); die Käuferseite wurde so zum Abschluss eines Vertrags veranlasst, den sie bei Kenntnis der manipulierten Software nicht eingegangen wäre. Der Tatvorwurf geht also in der Sache dahin, dass der Käufer in Bezug auf einen aufklärungspflichtigen (und aufklärungsbedürftigen) Sachmangel des Fahrzeugs in sittenwidriger Weise zu einer schädlichen Vermögensdisposition bestimmt worden war.
b) In einem solchen Fall genügt es jedoch nicht, dass der Täter die Möglichkeit einer schadensträchtigen Entwicklung erkannt und gebilligt hatte. Vielmehr trifft ihn der haftungsbegründende Vorwurf einer sittenwidrigen Schädigung nur dann, wenn der Geschädigte die schadenauslösende Handlung gerade deswegen vorgenommen hat, weil er dazu in sittenwidriger Weise veranlasst worden war. Anderenfalls hat sich das Tatbestandsmerkmal der Sittenwidrigkeit bei der Schädigung nicht verwirklicht (BGH, Urteil vom 20. Februar 1979 - VI ZR 189/78, dort Rn. 18 bestätigt durch Urteil vom 7. Mai 2019 - VI ZR 512/17, dort Rn. 8 OLG Stuttgart NJW-RR 20, 210, dort Rn. 42 m. w.N.).
Denn für die abschließende sittliche Beurteilung eines Täterverhaltens hat es auf...