Leitsatz (amtlich)
1. Unabhängig von den sonstigen Voraussetzungen einer deliktischen Einstandspflicht des VW-Konzerns in den sog. Diesel-Abgasverfahren kommt eine Haftung auch unter dem Gesichtspunkt einer sittenwidrigen Schädigung (§ 826 BGB) von vornherein nicht (mehr) in Betracht, wenn der Kauf des Fahrzeugs erst nach Mitte Oktober 2015 - also erst nach den bis dahin erfolgten Verlautbarungen sowie sonstigen Aufklärungsmaßnahmen des VW-Konzerns und der jeweils dadurch ausgelösten Medienberichterstattung usw. - stattgefunden hatte (entgegen OLG Hamm NJW-RR 2019, 1428, dort Rn. 59 ff.).
2. In einem solchen "Spätfall" des Fahrzeugerwerbs fehlt es sowohl am erforderlichen Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen dem angelasteten Sittenverstoß und dem Kaufentschluss als auch an einem Täuschungs- und Schädigungsvorsatz der Herstellerseite (Anschluss an OLG Stuttgart NJW-RR 20, 210, Rn. 42 ff.; OLG Oldenburg MDR 20, 286, Rn. 13 ff.; Urteil des OLG Frankfurt v. 13.11.19 - 13 U 274/18 - dort Rn. 51 ff.; OLG Schleswig NJW-RR 2020, 213, Rn. 39; OLG München WM 2020, 478, dort Rn. 8 ff.).
3. In einem derartigen "Spätfall" ist die Klage auch bereits dann abweisungsreif, wenn die Klägerseite keinen plausiblen Sachvortrag dazu unterbreitet, weshalb sie trotz der umfangreichen und seit Ende September 2015 wochenlang anhaltenden Berichterstattung in den Medien auch bei Vertragsschluss keine Kenntnis davon gehabt und noch nicht einmal einen dahin gehenden Verdacht geschöpft haben will, dass die VW AG - konzernweit - bei mehreren ihrer Marken und jeweils bei zahlreichen Modellen jeweils Dieselfahrzeuge mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung vertreibt.
4. Bei der Spätfall-Konstellation eines Gebrauchtwagenkaufs erfordert ein schlüssiger Sachvortrag in der Kausalitätsfrage zugleich nachvollziehbare Darlegungen dazu, dass und weshalb die Käuferseite in ihrer konkreten Situation bei Kenntnis der verheimlichten Umstände auch nicht bereit gewesen wäre, das Fahrzeug zu einem um den "Minderwert" reduzierten Kaufpreis zu erwerben.
5. Der Klägerseite hilft auch nicht das Vorbringen weiter, wonach die Herstellerseite mit dem nachträglichen Aufspielen eines "Software-Updates" erneut eine unzulässige Abschalteinrichtung in der Form eines Thermofensters installiert habe:
5.1 Zum einen liegt die Behauptung einer weiteren Manipulation schon außerhalb des haftungsbegründenden Sachverhalts und damit des auf eine Täuschung bei Abschluss des Kaufvertrags gestützten Klagegrundes.
5.2 Darüber hinaus gehört zum schlüssigen Sachvortrag (wozu sich die "Klageschablone" der Klägerseite regelmäßig ausschweigt), dass die Historie des konkreten Fahrzeugs dargelegt und hierbei auch das Ergebnis des aktuellen Hauptuntersuchungen einbezogen wird.
Normenkette
BGB § 823 Abs. 2, § 826; StGB § 263
Verfahrensgang
LG Bayreuth (Urteil vom 13.05.2019; Aktenzeichen 41 O 839/18) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Bayreuth vom 13.05.2019 abgeändert.
2. Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
3. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
6. Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 7.235,08 EUR festgesetzt. Hiervon entfallen 6.917,57 EUR auf die Berufung der Beklagten
Gründe
I. Die Klägerin nimmt die beklagte Fahrzeugherstellerin im Zusammenhang mit dem sogenannten "Diesel-Skandal" nach Deliktsgrundsätzen auf Schadensersatz in Anspruch.
Die Klägerin hatte am 04.12.2015 von einem Fahrzeughändler einen gebrauchten Pkw Seat Exeo gekauft. Das Fahrzeug ist serienmäßig mit einem Dieselmotor des Typs EA 189 ausgestattet und mit einer Software ausgerüstet, die den Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert.
Die Klägerin behauptet, sie habe im Zeitpunkt des Kaufs weder Kenntnis vom sog. "Diesel-Skandal" noch davon gehabt, dass ihr Fahrzeug betroffen sei. Sie interessiere sich nicht für Berichterstattung der Medien über wirtschaftliche oder politische Themen. Beim Kauf sei sie über den Mangel auch nicht aufgeklärt worden. Informatorisch hat die Klägerin angegeben, sie habe das Fahrzeug vor allem wegen des Preises erworben und sich für ein Dieselfahrzeug entschieden, weil sie einen weiten Weg zur Arbeit habe. Ergänzend bringt die Klägerin vor, nach Presseberichten sei auch das von der Beklagten nachträglich aufgespielte Softwareupdate mit einer Abschalteinrichtung versehen.
Die Klägerin hat beantragt:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 7.235,08 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 4 Prozent seit dem 4.12.2015 bis zum 12.12.2018 und seit dem 13.12.2018 in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Seat Exeo, FIN Nr. XXX.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des Fahrzeugs Seat Exeo, FIN Nr. XXX im Verzug befindet.
Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von vorgerichtlichen Gebühren ihrer Prozessbevo...