Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine "Vorverlagerung" der Pflicht zur Aufklärung über die Alternative einer Schnittentbindung wegen der Risikokonstellation einer Schulterdystokte und einer möglichen Makrosomie des Kindes/Zum Schutzbereich einer dahingehenden Aufklärungspflicht

 

Normenkette

BGB § 823 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Bamberg (Urteil vom 07.08.2007; Aktenzeichen 1 O 710/04)

 

Tenor

I. Die Berufung der Kläger gegen das Teilurteil LG Bamberg vom 7.8.2007 wird zurückgewiesen.

II. Die Kläger tragen zu gleichen Teilen auch die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 3) im Berufungsrechtszug. Die Verteilung der sonstigen Kosten des Berufungsverfahrens bleibt der Schlussentscheidung des Senats (bzw. des LG) vorbehalten.

III. Der Berufungsstreitwert in Bezug auf das Prozessrechtsverhältnis zwischen der Klägerseite und der Beklagten zu 3) wird - entsprechend der Bezifferung in der Berufungsbegründung - auf 181.147,87 EUR festgesetzt.

 

Gründe

Die Kläger, Mutter und Sohn, verlangen von dem beklagten Träger des Klinikums X. sowie den beiden als Gesamtschuldnern mitverklagten - damals dort angestellten - Ärzten Ersatz für Gesundheitsschäden, die ihnen bei der vaginal-operativen Entbindung des Klägers am XX.6.2000 entstanden sind. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Die 27-jährige Klägerin zu 2 (künftig nur: Klägerin), die sich damals in der 37. Schwangerschaftswoche ("36 + 3") befand, wurde am 22.5.2000 von ihrer Frauenärztin in das Klinikum X. überwiesen, um die Frage einer Geburtseinleitung wegen "Gestosesymptomatik und kräftigem Feten" abklären zu lassen. Die Klägerin war im Klinikum X. bereits am 16.12.1996 von ihrem ersten Sohn mit einem Geburtsgewicht von 4.170 g und - wie es im Mutterpass heißt - bei "erschwerte(r) Schulterentwicklung" entbunden worden. Auch im Laufe ihrer zweiten Schwangerschaft hatte das Gewicht der 1,69 cm großen Klägerin extrem zugenommen, nämlich von 65,3 kg auf zuletzt 96 kg. Die Untersuchung im Klinikum X. wurde noch am Überweisungstag von der drittbeklagten Oberärztin durchgeführt, die keine Anhaltspunkte für eine Gestosesymptomatik feststellen konnte und das von ihr sonographisch ermittelte Fötusgewicht mit 3.500 g dokumentierte.

Am 16.6.2000 wurde die Klägerin gegen 23.30 Uhr mit starken Wehen in die gynäkologische Ambulanz des Klinikums aufgenommen und anschließend von dem Zweitbeklagten untersucht, der bei der Klägerin u.a. einen "großen Bauch" und ein "großes Kind" feststellte. Bei der (ersten) Ultraschalluntersuchung erschienen im Anzeigefeld des Geräts anstelle einer Gewichtsangabe fünf Fragezeichen. Gegen 2.30 Uhr wurde bei der Klägerin wegen der wehenbedingten Schmerzen eine Peridural-Anästhesie (PDA) durchgeführt, die wiederholt durch Nachspritzen erneuert wurde. Nachdem sich bis dahin kein wesentlicher Geburtsfortschritt eingestellt hatte, ist im Verlaufsprotokoll für 9.00 Uhr dokumentiert: "Pat. will mehr, wünscht Sectio". Der Eintrag um 9.30 lautet auszuggweise: "Pat. sehr ungeduldig, ist erschöpft und kann nicht mehr ...". Den weiteren Aufzeichnungen zufolge wurde gegen 9,05 Uhr die Geburtsleitung von Oberarzt Dr. U. übernommen, der eine ab 9.50 Uhr vorbereitete Vakuumextraktion durchführte. Hierbei gestaltete sich die Entwicklung der Schultern des Klägers trotz einer ausgedehnten Episiotomie wegen eines tiefen Schulterquerstandes als schwierig. Gegen 10.04 Uhr wurde der Kläger mit einem Geburtsgewicht von 5.270 g vaginal-operativ entbunden. Nach der Geburt zeigte sich am linken Arm des Kindes indes eine Lähmung des Nervengeflechts (vollständige Plexusparese) mit der Folge, dass der linke Arm weitgehend gelähmt ist und auch in Zukunft bleiben wird.

Nach Auffassung der Klägerseite war angesichts des zu erwartenden Geburtsgewichts und Risikofaktoren eine Schnittentbindung des Klägers bereits im Anschluss an die ambulante Untersuchung am 22.5.2000, erst recht aber zum Zeitpunkt der Aufnahme in das Klinikum am 16.6.2000 indiziert gewesen. In jedem Falle hätte es sowohl der Beklagten zu 3 wie dem Beklagten zu 2 oblegen, die Klägerin über die unterschiedlichen Risiken der Entbindungsmethoden aufzuklären; für diesen Fall hätte sich die Klägerin von vornherein für eine Kaiserschnittentbindung entschieden. Die stattdessen durchgeführte Vaginalentbindung habe nicht - wie unstreitig - beim Kläger, sondern auch bei der Klägerin zu Körper- und Gesundheitsschäden geführt. Darüber hinaus lastet die Klägerseite dem Beklagten zu 2 auch Behandlungsfehler an.

Das LG hat durch Teilurteil 1. dem Zahlungs- und Feststellungsbegehren des Klägers gegen den Klinikträger sowie den Zweitbeklagten weitgehend stattgegeben, nämlich diese beiden Beklagten 1.1 zur gesamtschuldnerischen Zahlung eines Schmerzensgeldes von 65.000 EUR zuzüglich Verzugszinsen verurteilt sowie 1.2 die Ersatzpflicht des Klinikträgers und des Zweitbeklagten für die eingetretenen bzw. zukünftigen materiellen Schäden des Kindes festgestellt, und 2. die Klage insgesamt abgewiesen, soweit es 2.1 die Haftung der Beklagten zu 3 dem Gr...

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