Leitsatz (amtlich)
1. Die Unterlassung einer sonographischen Gewichtsschätzung bei der Aufnahme in die Geburtsklinik ist zumindest dann kein Befunderhebungsfehler, wenn eine nur wenige Wochen alte Schätzung durch den behandelnden Gynäkologen vorliegt.
2. Ein zu erwartendes Geburtsgewicht von 4.000 g, eine Übertragung und eine erhöhte Gewichtszunahme der Mutter erfordern keine Aufklärung über die Möglichkeit einer Sektio wegen des Risikos einer Schulterdystokie.
Verfahrensgang
LG München I (Urteil vom 26.01.2005; Aktenzeichen 9 O 12081/01) |
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des LG München I vom 26.1.2005 - 9 O 12081/01, wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, falls die Beklagte nicht zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger macht gegen die Beklagte, die eine Frauenklinik betreibt, Schadenersatzansprüche wegen Komplikationen bei und nach seiner Geburt geltend.
Die Mutter des Klägers erwartete im Alter von 26 Jahren ihr erstes Kind. Am 8.1.1996 führte Dr. K., der behandelnde Frauenarzt, der als Geburtstermin den 20.1.1996 errechnet hatte, eine Ultraschalluntersuchung durch. Er wies die Mutter darauf hin, dass mit der Geburt eines überdurchschnittlich großen Kindes zu rechnen sei. Er schätzte das Geburtsgewicht auf 3.800 bis 4.000 g. Auf die Frage der Mutter, ob dann nicht ein Kaiserschnitt geboten sei, erklärte Dr. K., dass darüber in der Klinik entschieden werde. Aus seinen Behandlungsunterlagen ergibt sich, dass er das Auftreten eines relativen Missverhältnisses für möglich ansah.
Am 15.1.1996 findet sich der Vermerk "wird wohl Sectio, lange Aufkl. Im Beisein Ehemann", und am 24.1.1996 der Vermerk "!ange Aufkl über Geburt, Sectiowahrscheinlichkeit + Folgen für weitere Schwangerschaften, Übertragung, Reifung des Kindes etc" in der Dokumentation des Dr. K.
Am 27.1.1996 wurde die Mutter des Klägers in die Frauenklinik der Beklagten stationär aufgenommen. Während der Schwangerschaft hatte sich ihr Körpergewicht von 48 kg auf 67 kg erhöht.
Nach der Aufnahme der Mutter erfolgte weder eine Sonographie zur Gewichtsbestimmung, noch wurde eine Beckendiagnostik durchgeführt.
Am 28.1.1996 setzten um 8.08 Uhr Presswehen bei vollständigem Muttermund ein, nachdem es zum spontanen Blasensprung gekommen und ein CTG angelegt worden war. Um 8.22 Uhr stellte der um 8.18 Uhr hinzu gerufene Dr. F. eine "terminale Bradykardie" fest. Dr. F. entschloss sich daraufhin zur Vakuumextraktion. Nachdem der Kopf des Klägers entwickelt worden war, misslang die Schulterentwicklung. Dr. F. diagnostizierte eine Schulterdystokie im hohen Schultergeradstand. Das von ihm durchgeführte Manöver nach McRoberts brachte keinen Erfolg. Der hinzugekommene Dr. T. übernahm die Kindesentwicklung, indem er die rechte Episiotomie erweiterte, zusätzlich einen Entlastungsschnitt auf der linken Seite legte und die Schulter aus dem geraden in den schrägen Durchmesser rotierte. Um 8.31 Uhr erfolgte die Geburt des Klägers. Nach der Geburt erschien Oberarzt Dr. G. im Kreißsaal.
Der Kläger, der 4.420 g wog, 53 cm lang war und einen Kopfumfang von 35 cm hatte, wurde künstlich beatmet und in eine Kinderklinik transportiert.
Bei der Geburt kam es zu einer Plexusparese und einem Kephalhämatom. Am 4.2.1996 trat eine Schocksymptomatik auf. Der Kläger musste reanimiert werden. Ursache waren Hirnblutungen im Bereich der Medulla oblongata.
Der Kläger ist seit den Ereignissen vom 28.1. und 4.2.1996 irreversibel schwerstbehindert. Er wird ständig auf die Hilfe Dritter angewiesen sein.
Dr. F. erhielt am 8.1.1997 seine Anerkennung als Frauenarzt durch die Bayerische Landesärztekammer.
Der Kläger hat behauptet, seine Mutter habe bereits kurz nach der stationären Aufnahme die Hebamme über die von Dr. K. festgestellte Größe des Kindes informiert und diese gefragt, ob es deshalb nicht geboten sei, eine Sektio durchzuführen. Die Hebamme habe geantwortet, dass dies erst "bei der Geburt" entschieden werde. Im Übrigen erfolge auch bei einem zu erwartenden großen Kopf nicht immer eine Sektio.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Schaden sei auf eine Verkennung des relativen Missverhältnisses zwischen Kindsgröße und Weite des Geburtskanals zurückzuführen. Vor allem angesichts der Tatsache, dass die Mutter des Klägers leicht, schmal und klein gewesen sei, hätte mittels Sonographie ermittelt werden müssen, wie groß der Fetus war und ob es bei einer Spontangeburt Platzprobleme im Geburtskanal geben würde. Hätten die Geburtshelfer die dringend gebotenen Befunde wie Beckendiagnostik und Größenbestimmung des Feten erhoben, wären aufgrund des hohen Geburtsgewichts zwangsläufig Probleme bei der vaginalen Geburt offenbar geworden.
Eine fachärztliche Betreuung sei nicht erfolgt.
Die Geburtshelfer hätten die Mutter üb...