Leitsatz (amtlich)

Zu den Umständen, bei deren Vorliegen der Arzt verpflichtet ist, über die Alternative einer Schnittentbindung aufzuklären.

 

Normenkette

BGB § 253 Abs. 2, §§ 280, 823

 

Verfahrensgang

LG Darmstadt (Urteil vom 12.04.2005; Aktenzeichen 8 O 570/02)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten zu 1) wird das am 12.4.2005 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des LG Darm stadt - 8 O 570/02 - abgeändert.

Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Der am 24.11.1997 in der Klinik der Beklagten zu 1) geborene Kläger ist körperlich und geistig schwerst behindert und begehrt Schmerzensgeld und Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten. Der Beklagte zu 2) ist ein während der Geburt hinzugezogener Oberarzt, die Beklagte zu 3) war Assistenzärztin.

Der Kläger wurde aufgrund der 4. Schwangerschaft seiner 1,64 m großen Mutter geboren, die zu diesem Zeitpunkt 123 kg wog. Ihr erstes Kind kam wegen einer Beckenendlage durch Kaiserschnitt mit einem Geburtsgewicht von 3.700 g zur Welt; zwei weitere Schwangerschaften wurden abgebrochen.

Bei einer Ultraschalluntersuchung am 20.10.1997 wurde das Geburtsgewicht des Klägers auf 3.000 g geschätzt; voraussichtlicher Geburtstermin war der 30.11.1997.

Am 22.11.1997 wurde die Mutter des Klägers nach Weheneintritt bei der Bekl. zu 1) aufgenommen. Eine von der Zeugin B durchgeführte Ultraschalluntersuchung ergab einen Kopfdurchmesser von 10,2 bzw. 10 cm sowie einen Thoraxdurchmesser von 11,9 bzw. 11,5 cm; das Gewicht des Klägers wurde auf 3.900 g geschätzt. Nachdem die Mutter des Klägers am Morgen des 23.11.1997 zunächst wieder entlassen worden war, erfolgte am Abend des gleichen Tages eine erneute Aufnahme. Der eigentliche Geburtsvorgang begann um 11.40h des Folgetages. Die die Geburt begleitende Beklagte zu 3) rief den Beklagten zu 2) hinzu, da der Kläger wegen einer Schulterdystokie nicht entwickelt werden konnte. Zwischen den Parteien ist streitig, welche Maßnahmen vor und nach Hinzukommen des Beklagten zu 2) ergriffen wurden. Das Gewicht des um 11.50 h geborenen Klägers betrug 4.900 g. Er musste reanimiert werden und hatte eine Schulterfraktur erlitten. Er wurde intensivmedizinisch betreut.

In einem Arztbrief vom 12.12.1997 findet sich die Diagnose: "Schulterdystokie, Asphyxie mit primärer kardiopulmonaler Reanimation, Oberarmfraktur rechts, obere und untere Plexusparese linker Arm, Zustand nach Zwerchfellparese links, Postasphyxiesyndrom mit Verdacht auf beginnende ICP, Optikusatrophie links größer als rechts, Schädelimpressionsfraktur rechts, muskulärer Schiefhals, sonographisch GÖR, Leistenhoden bds., schwerste ZKS mit dystonen Muster" (Bl. 104 d.A.).

Der Kl. lebt jetzt mit seinen Eltern in den USA und wird zeitlebens intensivster Pflege bedürfen. Er ist nicht in der Lage, selbständig Nahrung aufzunehmen und mit seiner Umwelt zu kommunizieren (vgl. Schreiben des ... Hospitals vom 7.4.2004/Bl. 184 ff. d.A.)

Nach seiner Geburt gebar die Mutter zwei weitere gesunde Kinder durch Kaiserschnitt.

Ein vorgerichtlich eingeholtes medizinisches Gutachten des Prof. Dr. med A. vom 20.1.2001 nebst Ergänzung vom 2.1.2002 (Anlageband Bl. 115 ff., 126 ff. d.A.) kam zu dem Ergebnis, dass die nach Feststellung der Schulterdystokie dokumentierten Maßnahmen nicht fachgerecht waren, die Hirnschädigung indessen schicksalhaft sei.

Der Kl. hat ein Schmerzensgeld von 300.000 DM gefordert, woraufhin die Beklagte zu 1) im Juli 2002 70.000 DM zahlte.

Der Kläger hat geltend gemacht, seine Geburt sei entgegen dem Stand der ärztlichen Kunst durchgeführt worden. Außerdem sei seine Mutter vor der Geburt nicht hinreichend über die Möglichkeit einer Schnittentbindung aufgeklärt worden. Ihre Vorgeschichte sowie die festgestellten Größenparameter des Klägers hätten Anlass für eine Sectio geboten, wozu sie sich auch entschlossen hätte.

Die Beklagten haben die Auffassung vertreten, dass ein Anlass für die Erörterung einer Sectio nicht vorgelegen habe. Bei der Entwicklung des Klägers seien die fachlich gebotenen Maßnahmen ergriffen worden.

Gemäß Beweisbeschlüssen vom 3.2. und 5.7.2004 (Bl. 99 f., 176-178 d.A.) ist Beweis erhoben worden durch Vernehmung der Eltern des Klägers, den Zeuginnen C, Dr. B, D und des Beklagten zu 2) als Partei sowie durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Dr. E. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 21.6.2004 (Bl. 143-169) sowie auf das Gutachten vom 3.9.2004 (Bl. 192-211 d.A.) nebst Erläuterung in der mündlichen Verhandlung vom 22.2.2005 (Bl. 232-234 d.A.) Bezug genommen.

Durch Urteil vom 12.4.2005 hat das LG die Beklagte zu 1) verurteilt, a...

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