Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Absehen vom Fahrverbot bei geringfügiger Unterschreitung der Fahrverbotsschwelle bei Abstandsverstoß. Begriff des 'inneren Zusammenhangs'
Leitsatz (amtlich)
1. Von einem wegen Unterschreitung des Mindestabstandes von einem vorausfahrenden Fahrzeug nach § 4 I 1 Nr. 2 BKatV verwirkten Regelfahrverbot i.S.v. § 25 I 1 1. Alt. StVG darf nicht allein mit der Begründung abgesehen werden, dass der die Fahrverbotsanordnung indizierende untere Tabellengrenzwert (sog. "Fahrverbotsschwelle") nur knapp unterschritten wurde (u.a. Anschluss an OLG Köln VRS 105, 296 ff. und OLG Hamm, Beschluss vom 12.06.2009 - 3 Ss OWi 68/09 [bei [...]]).
2. Der für die Annahme eines beharrlichen Pflichtenverstoßes nach § 25 I 1 2. Alt. StVG i.V.m. § 4 II 2 BKatV notwendige innere Zusammenhang ist bei einem Zusammentreffen von Geschwindigkeits- mit Abstands- oder Rotlichtverstößen regelmäßig anzunehmen (Anschluss an OLG Bamberg NJW 2007, 3655 f. = NZV 2008, 48 f. = zfs 2007, 707 f.).
Normenkette
OWiG § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 3; StVG § 25 Abs. 1 S. 1; StVO § 4 Abs. 1 S. 1; BKatV § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 2 S. 2
Tatbestand
Das AG hat den Betr. wegen fahrlässiger Nichteinhaltung des Mindestabstandes von einem vorausfahrenden Fahrzeug (§ 4 I 1 StVO) zu einer Geldbuße von 320 Euro verurteilt; von der Verhängung des im Bußgeldbescheid neben einer Geldbuße in gleicher Höhe vorgesehenen Fahrverbots für die Dauer 1 Monats hat es demgegenüber abgesehen. Nach den aufgrund der in der Hauptverhandlung erklärten wirksamen Einspruchsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch (§ 67 II OWiG) rechtskräftigen Feststellungen des Bußgeldbescheids steuerte der Betroffene am 19.11.2010 einen Pkw auf der BAB A 72 in Fahrtrichtung Osten, wobei er an der Messstelle bei einer Geschwindigkeit von 111 km/h zum vorausfahrenden Fahrzeug einen Abstand von nur 16,34 Metern und damit von weniger als 3/10 des halben Tachowertes einhielt. Mit ihrer infolge der wirksamen Einspruchsbeschränkung ohnehin nur noch den Rechtsfolgenausspruch betreffenden Rechtsbeschwerde rügt die StA die Verletzung materiellen Rechts. Sie beanstandet, dass das AG neben der aufgrund der Vorahndungen des Betr. berechtigt verdoppelten Regelgeldbuße zu.U.nrecht von der Verhängung des gebotenen Regelfahrverbots abgesehen hat. Das Rechtsmittel führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung an das AG.
Entscheidungsgründe
I. Die gemäß § 79 I 1 Nr. 3 OWiG statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde der StA erweist sich als erfolgreich.
1. Gegen den Betr. kommt hier gemäß §§ 24, 25 I 1 StVG, § 4 I 1 Nr. 2 BKatV i.V.m. lfd. Nr. 12.5.3 der Tab. 2 zum BKat (Geschwindigkeit mehr als 100 km/h) neben einer Geldbuße von 160 Euro die Anordnung eines Fahrverbots für die Dauer eines Monats wegen grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers in der Regel in Betracht. Dies hat das AG ebenso wie eine zuletzt erst seit dem 17.12.2010 rechtskräftige und bereits mit einem Fahrverbot geahndete Geschwindigkeitsüberschreitung vom 13.05.2010 um 37 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften auch nicht verkannt. Dennoch hat es von der Anordnung eines Fahrverbots bei gleichzeitiger Beibehaltung der schon im Bußgeldbescheid vorgesehenen Verdoppelung des (Regel-) Bußgeldes auf 320 Euro mit der Begründung abgesehen, dass hier zu berücksichtigen sei, dass gegen den Betr. bei einem nur um 31 cm größeren Abstand von dann 16,65 m gegenüber dem tatsächlich festgestellten Abstand von 16,34 m lediglich von einer Abstandsunterschreitung um weniger als 4/10 des halben Tachowertes auszugehen gewesen wäre, weshalb bei einer derartigen Nähe zu dem eine Fahrverbotsanordnung vorsehenden Katalog-Grenzwert nicht eine "derart gesteigerte Gefährlichkeit des Verhaltens des Betr. und eine derart erhebliche Steigerung des Sorgfaltsverstoßes" anzunehmen sei, "dass er zur Ahndung [...] des Fahrverbotes" bedürfe, zumal zu berücksichtigen sei, dass der Betroffene "bislang nur wegen Geschwindigkeits-, nicht aber wegen Abstandsverstößen aufgefallen" sei.
2. Diese Begründung [...] hält rechtlicher Überprüfung [...] nicht stand. Vielmehr zeigen die bisherigen tatsächlichen Feststellungen und Erwägungen des AG weder in objektiver noch in subjektiver Hinsicht Besonderheiten auf, die ausnahmsweise das Absehen von einem Fahrverbot rechtfertigen oder auch nur nahe legen könnten:
a) Zwar folgt aus § 4 I 1 BKatV nicht, dass ausnahmslos ein Fahrverbot zu verhängen wäre. Vielmehr steht dem Tatrichter ein Ermessensspielraum zu, um Verstößen im Straßenverkehr mit der im Einzelfall angemessenen Sanktion zu begegnen (BVerfG NJW 1996, 1809/1810). Die Frage, ob die Würdigung der Tat und der Persönlichkeit des Täters besondere Umstände ergibt, nach denen es ausnahmsweise der Warn- und Denkzettelfunktion eines Fahrverbots im Einzelfall nicht bedarf, liegt grundsätzlich in seinem Verantwortungsbereich. Der Tatrichter hat innerhalb des ihm eingeräumten Bewertungsspielraums die Wertungen nach eigenem pflichtgemäß...