Entscheidungsstichwort (Thema)
Absehen vom Fahrverbot wegen Erreichens der 'Punktegrenze'?
Leitsatz (amtlich)
1. Von einem bußgeldrechtlichen Fahrverbot kann nicht mit der Begründung abgesehen werden, dass der Betroffene wegen des (bevorstehenden) Erreichens der 'Punktegrenze' mit dem Entzug der Fahrerlaubnis zu rechnen habe, weshalb von einem Fahrverbot kein über eine gegebenenfalls erhöhte Geldbuße hinausgehender verkehrserzieherischer Effekt zu erwarten sei.
2. Aus der Natur des bußgeldrechtlichen Fahrverbots als Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme folgt, dass die Notwendigkeit seiner Anordnung regelmäßig nicht allein dadurch in Frage gestellt wird, dass der Betroffene an einem freiwilligen Fahreignungsseminar teilnimmt (u.a. Anschluss an OLG Bamberg, Beschl. v. 17.03.2008 - 2 Ss OWi 265/08 = VRS 114 [2008], 379 = VerkMitt 2008, Nr. 54 = OLGSt StVG § 4 Nr. 1 = VRR 2008, 272 und OLG Saarbrücken, Beschl. v. 12.02.2013 - Ss [B] 14/13 [bei [...]]).
Normenkette
StVG § 29 Abs. 3; StVO § 3 Abs. 3 S. 1 Nr. 1; OWiG § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 3; StVG § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 3, Abs. 7, § 4a Abs. 1, §§ 24, 25 Abs. 1 S. 1 Alt. 2, Abs. 2a, § 28 Abs. 3 Nr. 3
Tatbestand
Mit Bußgeldbescheid vom 15.09.2014 wurde gegen den Betr. wegen fahrlässigen Überschreitens der nach § 3 III 1 Nr. 1 StVO innerhalb geschlossener Ortschaften zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 21 km/h eine Geldbuße von 160 Euro und ein einmonatiges Fahrverbot festgesetzt. Auf seinen Einspruch hin hat das AG den Betr. am 05.03.2015 unter Beibehaltung des Schuldspruchs des Bußgeldbescheids zu einer Geldbuße von 300 € verurteilt; von einem Fahrverbot hat es jedoch abgesehen, was es im Wesentlichen wie folgt begründet hat: "Gemäß Nr. 11.3.4 BKatV ist für den Verstoß eine Geldbuße von 80 Euro vorgesehen. Aufgrund der zahlreichen und größtenteils einschlägigen Vorahndungen reicht dieser Betrag keinesfalls zur angemessenen Ahndung aus. Unter Berücksichtigung der Vorahndungen und der Umstände der Übertretung ist zwar von einem ebenso gewichtigen Verkehrsverstoß auszugehen wie im Regelbeispiel des § 4 II 2 BKatV. Das Gericht ist hier aber trotzdem der Ansicht, dass bei einer erheblichen Erhöhung der Geldbuße auf 300 Euro von einem Fahrverbot Abstand genommen werden kann. Von einem Fahrverbot ist nämlich kein über eine hohe Geldbuße hinaus gehender verkehrserzieherischer Effekt zu erwarten. Denn aufgrund der zahlreichen Vorahndungen des Betroffenen droht diesem bei erneutem Verstoß ohnehin die Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Erreichens der Punktegrenze. Folglich bedarf es zur Einwirkung auf ihn hier ausnahmsweise keines Fahrverbots." Mit ihrer gegen das vorbezeichnete Urteil form- und fristgerecht eingelegten Rechtsbeschwerde rügt die StA die Verletzung materiellen Rechts; sie beanstandet, dass das AG gegen den Betr. kein Fahrverbot verhängt hat. Das Rechtsmittel erwies sich als erfolgreich.
Entscheidungsgründe
I. Die gemäß § 79 I 1 Nr. 3 OWiG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde erweist sich als erfolgreich.
1. Die Rechtsbeschwerde der StA ist zulässigerweise auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Die Beschränkung eines Rechtsmittels muss nicht ausdrücklich erklärt werden; sie kann sich aus Wortlaut und Sinn eines Schriftsatzes ergeben (Meyer-Goßner/Schmitt StPO 58. Aufl. § 344 Rn. 6). Bereits die mit Verfügung vom 20.03.2015 erfolgte Rechtsbeschwerdeeinlegung enthält nur Ausführungen zum Rechtsfolgenausspruch. In der mit Verfügung vom 27.03.2015 vorgetragenen Rechtsbeschwerdebegründung, die ebenfalls nur das Unterbleiben der Verhängung eines Fahrverbots beanstandet, wird beantragt, das angefochtene Urteil vom 05.03.2015 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufzuheben. Es ist daher von einer entsprechenden Beschränkung der Rechtsbeschwerde auszugehen. Von einer weitergehenden Beschränkung der Rechtsbeschwerde allein auf die Frage der Anordnung eines Fahrverbots kann nicht ausgegangen werden, weil es sich insoweit nicht um einen innerhalb des Rechtsfolgenausspruchs abtrennbaren Entscheidungsteil handelt. Geldbuße und Fahrverbot stehen in einer so engen Wechselbeziehung zueinander, dass sie nicht losgelöst voneinander beurteilt werden können.
2. Die Rechtsfolgenentscheidung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
a) Zunächst ist das AG allerdings zutreffend davon ausgegangen, dass der Betr. angesichts der Vorahndungslage beharrlich i.S.v. § 25 I 1 2. Alt. StVG gegen seine Pflichten als Kraftfahrzeugführer verstoßen hat. Das AG hat auch gesehen, dass eine beharrliche Pflichtverletzung nicht ohne weiteres, zumal dann, wenn - wie hier - kein Regelfall nach § 4 II 2 BKatV vorliegt, die Verhängung eines Fahrverbots nach sich zieht (BayObLGSt 2003, 5). Es hat dann ausgeführt, es sei im vorliegenden Fall von einem "ebenso gewichtigen Verkehrsverstoß auszugehen, wie im Regelbeispiel des § 4 II 2 BKatV". Wenn aber - wovon das AG in nicht zu beanstandender Weise ausgeht - die Beharrlichkeit der Pflichtverletzung von ähnlich starkem Gewicht ist w...