Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung einer "Aufklärungsrüge" als Sachrüge - Geldbußenbemessung bei fehlenden Angaben des Betroffenen
Leitsatz (amtlich)
Die Bezeichnung als "Aufklärungsrüge" steht einer Auslegung als Sachrüge nicht entgegen, wenn nach dem - auch anwaltlichen - Rügevortrag nicht zweifelhaft ist, dass das Urteil zumindest auch mit der sog. ,Feststellungs- bzw. Darstellungsrüge' angegriffen werden soll. Von einer Sachrüge und nicht von einer den Begründungsanforderungen des § 344 II 2 StPO (i.V.m. § 79 III 1 OWiG) unterliegenden Verfahrensrüge ist deshalb auszugehen, wenn der Rechtsfolgenausspruch des angegriffenen Urteils mit der Begründung beanstandet wird, dass die Urteilsgründe keine tragfähige Tatsachengrundlage für die Rechtsfolgenbemessung abgeben, namentlich keine hinreichenden Feststellungen zu den ,bestimmenden' Zumessungstatsachen im Sinne von § 267 III 1 2. Hs. StPO (i.V.m. § 71 OWiG) enthalten.
Normenkette
StPO § 267 III 1; OWiG § 17 III; StVG § 24; StVO § 22 IV 2; StVZO § 34 III 3; BKatV § 3 I
Tatbestand
Das AG hat den Betr. wegen tateinheitlich begangener fahrlässiger Ordnungswidrigkeiten des Führens einer Fahrzeugkombination, obwohl das zulässige Gesamtgewicht um 37,25% überschritten war, Führens eines Fahrzeugs, dessen Gesamtgewicht ohne Erlaubnis die gesetzlich allgemein zugelassenen Grenzen tatsächlich überschritt, und unterlassener Anbringung eines vorgeschriebenen Sicherungsmittels bei einer mehr als 1 m hinausragenden Ladung (§ 24 StVG i.V.m. §§ 34 III 3, 69 a III Nr. 4 StVZO; §§ 22 IV 2, 29 III 1, 49 I Nr. 21, 49 II Nr. 7 StVO; § 19 OWiG) zu einer Geldbuße von 820 Euro verurteilt. Mit seiner statthaften (§ 79 I 1 Nr. 1 OWiG) und mit Verteidigerschriftsatz vom 26.04.2010 fristgerecht begründeten Rechtsbeschwerde beantragt der Betr.,
das Urteil "bzgl. des Rechtsfolgenausspruchs" aufzuheben.
Zur Begründung der Rechtsbeschwerde hat die Verteidigung vorgetragen:
"Wir erheben namens und im Auftrag des Betr. Aufklärungsrüge. Der Rechtsfolgenausspruch des AG muss aufgehoben werden. Das AG hat den Betr. zu einer Geldbuße von EUR 820,00 verurteilt, ohne konkrete Feststellungen bzgl. seiner wirtschaftlichen Verhältnisse zu treffen. Im Urteil wird ausgeführt, dass der Betr. keine Angaben zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen gemacht habe. Aus den Hauptverhandlungsprotokollen vom 30.07.2009 und 11.02.2010 geht hervor, dass der Betr. nur jeweils über seine persönlichen Verhältnisse vernommen wurde und darüber auch Angaben gemacht hat. Über seine wirtschaftlichen Verhältnisse wurde er nicht befragt. Das Gericht hat hier nicht die Regelgeldbußen für die in Tateinheit stehenden Ordnungswidrigkeitstatbestände angesetzt, sondern eine um über das Doppelte der höchsten Regelgeldbuße der Nr. 198.1 i.V.m. Tab. 3a hinausgehende Geldbuße. Gerade bei einer solchen deutlichen Erhöhung hätte das Gericht die Aufklärungspflicht gehabt, konkrete Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betr. zu treffen (§ 244 II StPO). Dem AG war es ohne diese konkrete Feststellungen überhaupt nicht möglich zu beurteilen, ob die deutliche Erhöhung der Regelgeldbuße wirtschaftlich noch angemessen sein konnte. Das Gericht zieht aus der Feststellung der persönlichen Umstände wie Familienstand und Beruf des Betr. den Schluss, dass durchschnittliche wirtschaftliche Verhältnisse vorlägen. Ein solcher Schluss ist jedoch keineswegs zwingend. Auch dem Beschwerdegericht ist es aufgrund der unterlassenen Feststellung der konkreten wirtschaftlichen Verhältnissen nicht möglich zu prüfen, ob die Höhe der Geldbuße nicht eine unverhältnismäßige Reaktion auf die Tat darstellt (OLG Hamm, Beschluss vom 25.08.2009 - 2 Ss OWi 593/09). Der Rechtsfolgenausspruch des AG beruht daher auf nicht hinreichenden bzw. überhaupt keinen Feststellungen."
Die GenStA hat mit Antragsschrift vom 26.05.2010 beantragt,
die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen
und dies wie folgt begründet:
"Mit der Rechtsbeschwerde wird ausschließlich die Aufklärungsrüge erhoben und damit die Verletzung des formellen Rechts beanstandet. Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig. Wird die Verletzung von Verfahrensfehlern gerügt, so sind gem. §§ 79 III OWiG, 344 II 2 StPO die Tatsachen mitzuteilen, auf denen nach Ansicht des Bf. der Verfahrensverstoß beruht. Eine Verfahrensrüge, die diesen Anforderungen entspricht, ist jedoch nicht erhoben. In der Rechtfertigungsschrift fehlt die genaue Mitteilung der Tatsachen, welche die angeblichen Verfahrensverstöße begründen, so dass das Rechtsbeschwerdegericht allein aufgrund der Begründungsschrift nicht prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen werden. Eine zulässige Aufklärungsrüge setzt voraus, dass bestimmte konkrete Tatsachen, Zustände oder Vorgänge als aufklärungsbedürftig genannt werden sowie die Angabe eines bestimmten Beweismittels, des erwarteten Beweisergebnisses und der daraus zu folgernden Besserstellung des Betr. sowie die Darlegung der Umstände und ...