Leitsatz (amtlich)
Unterbleibt die Ladung des Verteidigers zur Hauptverhandlung, obwohl sich dieser bei der Verwaltungsbehörde rechtzeitig als Verteidiger des Betroffenen angezeigt hat, stellt dies auch dann einen den Erlass eines Verwerfungsurteils nach § 74 II OWiG hindernden Verstoß gegen § 218 Satz 1 StPO dar, wenn die unterbliebene Ladung nicht auf einem Verschulden des Gerichts beruht, weil die Verwaltungsbehörde die Verteidigungsanzeige nicht zu den Akten genommen oder nicht an das Gericht weitergeleitet hat.
Tatbestand
Mit Bußgeldbescheid vom 29.07.2005 setzte das Luftamt S. gegen den Betr. wegen Verstößen gegen die Betriebsordnung für Luftfahrtgerät (Luft-BO) eine Geldbuße von 2.000 Euro fest. Den hiergegen gerichteten Einspruch des Betr. hat das AG mit dem angefochtenen Urteil gem. § 74 II OWiG verworfen. Mit der Rechtsbeschwerde macht der Betr. geltend, sein Verteidiger sei nicht zur Hauptverhandlung geladen worden, obwohl er bereits am 15.11.2005 seine Vertretung gegenüber der Verwaltungsbehörde angezeigt habe. Er selbst habe von der Ladung zum Hauptverhandlungstermin keine Kenntnis gehabt, da ihm diese Ladung durch Einlegung in den Briefkasten seines Büros in den Räumlichkeiten des Fliegervereins M., dessen Vorstand er sei, zugestellt worden sei. Da er in den Wintermonaten das Vereinsbüro nur sporadisch aufsuche, habe er von der Ladung erst nach dem Termin Kenntnis erlangt. Den mit dieser Begründung gestellten Wiedereinsetzungsantrag des Betr. hat das AG zurückgewiesen. Die gegen das Verwerfungsurteil gerichtete Rechtsbeschwerde des Betr. führt zur Urteilsaufhebung und Zurückverweisung an das AG.
Entscheidungsgründe
Das Urteil kann bereits deshalb keinen Bestand haben, weil der Verteidiger des Betr. nicht zum Hauptverhandlungstermin vom 18.01.2006 geladen worden ist. Der Verteidiger, der rechtzeitig vor dem Termin seine Wahl angezeigt und nicht auf Ladung verzichtet hat, muss nach § 218 Satz 1 StPO i.V.m. § 71 I OWiG zur Hauptverhandlung geladen werden. Dies gilt auch dann, wenn er - wie hier - eine Vollmacht nicht vorgelegt hat (BGHSt 36, 259). Denn die bei den Akten befindliche Vollmacht des Wahlverteidigers ist nach § 145a I StPO lediglich Voraussetzung dafür, dass dieser als ermächtigt gilt, Zustellungen für den Betr. in Empfang zu nehmen. Dagegen setzt die Anzeige der Wahl des Verteidigers, die nach § 218 Satz 1 StPO das Erfordernis seiner Ladung begründet, keine Vollmachtsvorlage voraus (BayObLGSt 84, 133). Im Bußgeldverfahren steht dabei die Anzeige der Wahl eines Verteidigers gegenüber der Verwaltungsbehörde der Anzeige bei Gericht gleich. Der Verteidiger genügt jedenfalls dann seiner Verpflichtung, wenn die Verteidigerwahl derjenigen Stelle angezeigt wird, die das Verfahren in dem jeweiligen Stadium betreibt, bei der sich also die Akten befinden. Im Bußgeldverfahren besteht die Besonderheit, dass der Betr. nach Einspruch gegen den Bußgeldbescheid im Regelfall zunächst nicht erfährt, ob und wann die Verwaltungsbehörde die Akten an die Staatsanwaltschaft weiterleitet und wann diese den Vorgang dem Gericht vorlegt. Entscheidend ist, dass das Gericht bei ordnungsgemäßer Handhabung und/oder rechtzeitiger Weiterleitung der Verteidigeranzeige diesen noch rechtzeitig zum Termin hätte laden können (vgl. KK-OWiG/Senge 2. Aufl. § 71 Rn. 39 m. zahlr. w.N.). Dies war hier der Fall.
Der Verteidiger hatte nach Zustellung des Bußgeldbescheids an den Betr. und Einspruchseinlegung durch diesen persönlich mit Schreiben vom 15.11.2005 gegenüber dem Luftamt S. als zuständiger Verwaltungsbehörde angezeigt, dass der Betr. von ihm vertreten werde. Der Senat vermag sich insoweit nicht der Auffassung der GenStA anzuschließen, der Verteidiger habe nicht darauf vertrauen dürfen, die Verwaltungsbehörde werde seine Verteidigungsanzeige an die StA - und somit an das Gericht - weiterleiten, nachdem sie ihn wegen der zugleich beantragten Akteneinsicht an die StA verwiesen hatte. Einer Weiterleitung dieses Schriftsatzes hätte es ohnehin nicht bedurft, da sich die Akten noch bei der Verwaltungsbehörde befanden und der Schriftsatz 1ediglich zu den Akten hätte genommen werden müssen, um später dem Gericht zur Kenntnis zu gelangen. Hierauf durfte der Verteidiger in jedem Fall vertrauen. Dass dies aus nicht bekannten Gründen nicht geschehen ist, kann dem Betr. nicht zum Nachteil gereichen.
Der Verstoß gegen § 218 1 StGB i.V.m. § 71 I OWiG begründet die Rechtsbeschwerde. Unterlässt ein Gericht die Ladung des Verteidigers zur Hauptverhandlung, obwohl dieser sich als Verteidiger bei der Verwaltungsbehörde angezeigt, diese aber eine entsprechende Mitteilung an das Gericht unterlassen hatte, liegt ein objektiver Verfahrensverstoß vor, der auf die Rechtsbeschwerde hin zur Aufhebung des Urteils führt (OLG Düsseldorf DAR 79, 340). Wegen der unterbliebenen Ladung des Verteidigers durfte ein Verwerfungsurteil nach § 74 II OWiG objektiv nicht ergehen. Auf ein - hier nicht gegebenes - Verschulden des Gerichts kommt es dabei nicht an. Auf dem ...