Leitsatz (amtlich)

1. Zur Zulässigkeit einer Regressklage, mit der der Haftpflichtversicherer eines im Vorprozess zum Schadensersatz gegenüber der Patientenseite verurteilten Geburtshelfers nunmehr im Wege des Gesamtschuldnerausgleichs Regressansprüche gegen die Hebamme sowie einen anderen Frauenarzt geltend macht, nachdem im Ausgangsverfahren die dahingehende Klage des geschädigten Kindes ohne Erfolg geblieben war (Anschluss an RGZ 69, 422, 426).

2. Zu den Voraussetzungen einer ärztlichen Garantenstellung aus sog. faktischer Behandlungsübernahme, wenn in einer sich zuspitzenden Geburtssituation (hier: dramatischer Abfall der fetalen Herztöne) und während einer längeren Abwesenheit des Vertragsarztes der Kindesmutter ein anderer Frauenarzt (und Belegarzt) von der Hebamme in den Kreißsaal geholt wird.

 

Normenkette

BGB § 425 Abs. 2, § 426 Abs. 1-2, § 823 Abs. 1-2; ZPO § 325; StGB §§ 13, 323c

 

Verfahrensgang

LG Bamberg (Urteil vom 27.01.2009; Aktenzeichen 15 O 17/07)

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des LG Hof vom 27.1.2009 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

II. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung im Kostenpunkt gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die vollstreckende Beklagtenpartei jeweils zuvor Sicherheit in dieser Höhe geleistet hat.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

IV. Berufungsstreitwert: 1.493.928,46 EUR.

 

Gründe

I. Die klagende Haftpflichtversicherung macht aus übergegangenem und abgetretenem Recht ihres Versicherungsnehmers Dr. M. - eines Frauenarztes - im Wege des Gesamtschuldnerausgleichs Regressansprüche gegen die Beklagten - einen Frauenarzt und eine Hebamme - geltend, denen die Klägerin jeweils eigene schwere Versäumnisse im Rahmen einer belegärztlichen Geburtshilfe für die Mutter der Geschädigten C. D. anlastet. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

1. Die Mitte Mai 2011 verstorbene Geschädigte war am 0.00.1995 gegen 14.13 Uhr im Krankenhaus Y. geboren worden. Infolge eines unter der Geburt aufgetretenen Sauerstoffmangels litt die Geschädigte an einer schweren Hirnschädigung und war sie daher bis zu ihrem Tode auf die Hilfe Dritter angewiesen gewesen. Dr. M. (im Folgenden auch: Versicherungsnehmer) hatte die Mutter der Geschädigten (künftig: Patientin) während der Schwangerschaft betreut und als Belegarzt auch die Geburtsleitung übernommen, bei der er von der zweitbeklagten Hebamme (im weiteren nur: Hebamme) unterstützt wurde. Der Geburtshergang hatte sich im Wesentlichen wie folgt entwickelt:

Die - nach den vorliegenden Krankenunterlagen - erst ab 12.58 Uhr einsetzenden CTG-Aufzeichnungen wiesen von Beginn an pathologische Werte aus. Spätestens ab 13.15 Uhr fielen die aufgezeichneten Werte so dramatisch ab, dass die Hebamme, wie sie selbst nicht mehr in Frage stellt, jedenfalls ab 13.20 Uhr unbedingt gehalten war, einen Arzt hinzuzuziehen. Der Versicherungsnehmer, der den Kreißsaal spätestens gegen 12.45 Uhr (nach klägerischer Darstellung schon vor bzw. gegen 12.30 Uhr) verlassen hatte, kehrte jedoch nicht vor 13.40 Uhr zurück. In der Zwischenzeit - nämlich zwischen 13.25 Uhr und 13.40 Uhr - war der ebenfalls als Belegarzt tätige Erstbeklagte (unter ebenfalls streitig gebliebenen Umständen) in den Kreißsaal gekommen. Während seines bis zu vierminütigen Aufenthalts im Kreißsaal wurde der Beklagte zu 1) wie folgt tätig: Entweder wies er die Hebamme auf deren Nachfrage an, eine Tokolysespritze zu setzen, oder aber er "billigte" auf Nachfrage diese von der Hebamme bereits zuvor eigenverantwortlich getroffene Maßnahme. Anschließend verließ der Beklagte den Kreißsaal, ohne eine sonstige Maßnahme veranlasst oder vorgeschlagen zu haben.

Dr. M., der frühestens gegen 13.40 Uhr (so die Hebamme) bzw. - nach dem Vorbringen der Klägerseite - erst zwischen 13.50 und 14.00 Uhr wieder im Kreißsaal eingetroffen war, entschied sich auch weiterhin für eine Spontangeburt mit der Folge, dass die Geschädigte im Rahmen einer Vaginalentbindung erst gegen 14.13 Uhr geboren wurde.

2. Im Vorprozess 12 O 174/99 LG Hof hatte die Geschädigte neben Dr. M. und der Hebamme ursprünglich auch den hier verklagten Belegarzt, den von Dr. M. hinzugezogenen Anästhesisten Dr. H. sowie den Krankenhausträger jeweils - als Gesamtschuldner - auf materiellen und immateriellen Schadensersatz in Anspruch nehmen lassen. Während sie dem Versicherungsnehmer der Klägerin eine unzureichende Überwachung sowie das Absehen von einer Kaiserschnittgeburt vorwarf, wurden der Hebamme eine verspätete Unterrichtung von Dr. M., das Unterlassen von Zusatzmaßnahmen sowie eine "eigenmächtige" Notfalltokolyse als grobe Behandlungsfehler angelastet. Mit Urteil vom 15.1.2002 hat das LG unter Abweisung der Klage im Übrigen Dr. M. zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 205.000 EUR verurteilt und antragsgemäß die Verpflichtung des klägerischen Versicherungsnehmers festgestellt, der Geschädigten den entstandenen und zukünftigen materielle...

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