Entscheidungsstichwort (Thema)
Inverkehrbringen eines Dieselfahrzeugs mit unzulässiger Abschalteinrichtung als vorsätzliche sittenwidrige Schädigung
Leitsatz (amtlich)
1. Das Inverkehrbringen eines Fahrzeugs, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 715/2007 versehen ist und dem deshalb eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung nach § 5 Abs. 1 FZV droht, ist objektiv sittenwidrig im Sinne von § 826 BGB (vgl. BGH BeckRS 2020, 10555). (Rn. 20 - 23)
2. Der Erwerber eines solchen Fahrzeugs genügt seiner Darlegungslast für vorsätzliches Handeln eines Organs des Herstellerunternehmens i.S.v. § 31 BGB analog mit der Behauptung, der vormalige Leiter der Entwicklungsabteilung und der vormalige Vorstand hätten Kenntnis von dem Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung gehabt. Den Fahrzeughersteller trifft für die Behauptung, eine solche Kenntnis habe nicht vorgelegen, eine sekundäre Darlegungslast. (vgl. BGH a.a.O.). (Rn. 32)
Normenkette
BGB §§ 31, 826, 831, 849; FZV § 5 Abs. 1; EGV 715/2007 Art. 5 Abs. 2 S. 1; ZPO § 138 Abs. 3
Verfahrensgang
LG Bamberg (Urteil vom 16.05.2019; Aktenzeichen 11 O 681/18) |
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil des Landgerichts Bamberg vom 16.05.2019, 11 O 681/18, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 21.741,35 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 23.01.2019 Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs X., FIN: ..., zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.242,84 EUR freizustellen.
1.1. 3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 31%, die Beklagte 69%.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger und die Beklagte können die Vollstreckung jeweils durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei zuvor Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
V. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Gründe
Der Kläger begehrt von der Beklagten deliktischen Schadensersatz nach dem Kauf eines PKW mit Dieselmotor.
Der Kläger erwarb mit Kaufvertrag vom 12.03.2015 von seinem Vater einen gebrauchten X. mit Kilometerstand 2.000 zu einem Kaufpreis von 31.500,00 EUR. Die Beklagte ist die Herstellerin des Wagens. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA 189 ausgestattet. Für den Fahrzeugtyp wurde die Typgenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt.
Das Fahrzeug war mit einer Software versehen, die den Stickoxid-Ausstoß auf dem Prüfstand gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert. Für die Erteilung der Typgenehmigung der Emissionsklasse Euro 5 maßgeblich war der Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand. Die Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm wurden nur auf dem Prüfstand eingehalten.
Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) erließ am 15. Oktober 2015 gegen die Beklagte einen bestandskräftigen Bescheid mit nachträglichen Nebenbestimmungen zur Typgenehmigung, der auch das Fahrzeug des Klägers betrifft. Das KBA ging vom Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung aus und gab der Beklagten auf, diese zu beseitigen und die Einhaltung der maßgeblichen Grenzwerte anderweitig zu gewährleisten. Die Beklagte entwickelte ein SoftwareUpdate, das der Kläger mittlerweile aufspielen ließ.
Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Oberlandesgericht wies das Fahrzeug einen Kilometerstand von 78.830 km auf.
Im Übrigen wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen, § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO.
Das Landgericht hat die Beklagte mit Endurteil vom 16.05.2019 verurteilt, Zug-um-Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs an den Kläger 22.589,91 EUR nebst Zinsen in Höhe von 4% p.a. vom 09.04.2013 bis 22.01.2019 und in Höhe von 5% über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 23.01.2019 zu zahlen. Es hat die Beklagte weiter verurteilt, den Kläger von vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 2.144,62 EUR freizustellen und hat weiter festgestellt, dass Annahmeverzug der Beklagten bezüglich der vom Kläger Zug um Zug angebotenen Gegenleistung vorliegt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Auf die Gründe des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen.
Gegen das ihren Prozessbevollmächtigten jeweils am 22.05.2019 zugestellte Urteil haben der Kläger am 21.06.2019, die Beklagte am 24.06.2019 (Montag) Berufung beim Oberlandesgericht eingelegt. Die Beklagte hat ihre Berufung - nach entsprechender Fristverlängerung - am 22.08.2020 begründet.
Der Kläger hat zunächst beantragt,
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 31.500,00 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 4% p.a. seit...