Leitsatz (amtlich)
1. Der Hersteller eines Pkw mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung haftet dem Käufer aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß §§ 826,31 BGB (Anschluss an: BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 - und Urteil vom 30.07.2020 - VI ZR 5/20, jeweils juris).
2. Auf den Schadensersatzanspruch sind die gezogenen Nutzungen anzurechnen. Entscheidet sich der Käufer für die weitere ihm zumutbare Nutzung, hat er die daraus gezogenen Vorteile auszugleichen (Anschluss an: BGH, Urteil vom 25.05.2020, a.a.O.) und zwar bis zur Rückgabe des Fahrzeugs (Anschluss an: OLG Koblenz, Urteil vom 12.06.2019 - 5 U 1318/18, juris).
3. Verlangt der Käufer vorgerichtlich den vollen Kaufpreis gegen Übergabe des Pkw, liegt keine verzugsbegründende Mahnung vor, weil der Kläger damit die ihm obliegende Gegenleistung der Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs nicht - wie erforderlich - in einer den Annahmeverzug begründenden Art und Weise angeboten hat.
4. Wenn ein Teil der Fahrleistung zwischen dem Eintritt der Rechtshängigkeit und dem Schluss der Berufungsverhandlung angefallen ist, sind die Prozesszinsen auf den Schadensersatzanspruch nicht nur nach der Laufleistung zum Schluss der Berufungsverhandlung zu berechnen. Vielmehr ist innerhalb der jeweiligen Zeiträume mangels näherer Anhaltspunkte von einer in etwa gleichmäßigen Erbringung der Fahrleistung auszugehen. Angesichts dessen kann zur Berechnung der Prozesszinsen mit den jeweiligen Mittelwerten zwischen den Beträgen, welche dem Kläger zugesprochen worden wären, wenn er zu Beginn des jeweiligen Zeitraums mit dem Fahrzeug nicht mehr gefahren wäre und dem Betrag, welcher ihm zum Ende des jeweiligen Zeitraums zuzusprechen gewesen wäre, gerechnet werden.
Normenkette
BGB §§ 31, 249 Abs. 1, §§ 286, 288 Abs. 1, §§ 291, 826
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird - unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen - das Urteil des Landgerichts Schwerin vom 20.09.2018, Az. 4 O 57/18, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 9.085,53 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus
- 14.353,06 EUR für den Zeitraum ab dem 25.04.2018 bis zum 04.06.2018,
- 13.353,82 EUR für den Zeitraum ab dem 05.06.2018 bis zum 28.01.2019,
- 10.878,53 EUR für den Zeitraum ab dem 29.01.2019 bis zum 15.01.2021 und
- 9.085,53 EUR ab dem 16.01.2021
zuzüglich vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.029,35 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.04.2018 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des VW Passat mit der Fahrzeugidentifizierungsnummer ... zu zahlen.
Die weitergehende Klage abgewiesen.
1. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 64 % und die Beklagte 36 % zu zahlen.
2. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
3. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger nimmt die Beklagte als Fahrzeugherstellerin auf Schadensersatz wegen Verwendung einer vermeintlich unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung in Anspruch.
Der Kläger kaufte am 22.03.2012 von einem Autohaus einen gebrauchten, von der Beklagten hergestellten Pkw VW Passat 2,0 l, Erstzulassung am 03.02.2011, mit Dieselmotor des Typs EA 189 zu einem Kaufpreis von 24.902,78 EUR. Zu diesem Zeitpunkt wies das Fahrzeug einen Kilometerstand von 25.000 km auf. Für den Fahrzeugtyp wurde die Typengenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 (nachfolgend: VO 715/2007/EG) mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt.
In dem Fahrzeug war eine Motorsteuergerätesoftware installiert, die erkennt, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wird und in diesem Fall in den Abgasrückführungsmodus 1 schaltet, einen NOx-optimierten, also stickoxidoptimierten Modus. In diesem Modus findet eine Abgasrückführung mit niedrigem Stickoxidausstoß statt. So werden mehr Stickoxide in den Motor zurückgeführt, wo sie erneut am weiteren Verbrennungsvorgang beteiligt werden, bevor sie das Emissionskontrollsystem erreichen. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstands schaltet der Motor dagegen in den Abgasrückführungsmodus 0, bei dem die Abgasrückführungsrate geringer und der Stickoxidausstoß höher ist. Für die Erteilung der Typengenehmigung der Emissionsklasse Euro 5 maßgeblich war der Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand.
Im September 2015 räumte die Beklagte öffentlich die Verwendung der entsprechenden Software ein. Gegen sie erging unter dem 15. Oktober 2015 ein bestandskräftiger Bescheid des Kraftfahrtbundesamts (KBA) mit nachträglichen Nebenbestimmungen zur Typengenehmigung, der auch das Fahrzeug des Klägers betrifft. Das KBA ging vom Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG aus und gab der Beklagten zur Vermeidung des Widerrufs oder der Rücknahme der Typengenehmigung auf, die Abschalteinrichtung zu beseitigen sowie geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit zu ergrei...