Leitsatz (amtlich)

1. Die Ersatzpflicht des Luftfahrzeughalters kann - neben der Verpflichtung zur Erstattung von Beerdigungskosten, des Unterhaltsschadens sowie der notwendigen Rechtsverfolgungskosten - nach den Grundsätzen der "Schockschadens-Rechtsprechung" auch die Zahlung eines Angehörigen-Schmerzensgeldes erfassen. Hierbei sind die Höchstgrenzen des § 37 LuftVG zu beachten.

2. Bei einem Fluggast, der weder Luftfahrzeughalter noch -führer ist, kommt, weil er den Schaden nicht verursacht hat, als einem unbeteiligten Dritten i.S.d. § 41 LuftVG selbst eine nur anteilige Mithaftung nicht in Betracht. Einem (verletzten) Passagier des anderen am Zusammenstoß beteiligten Flugzeugs können daher die auf Schadensersatz verklagten Luftfahrzeughalter grundsätzlich keine anspruchsverkürzende Mitverursachung entgegenhalten.

3. In der Konstellation eines sog. "Single-Hand-Flugzeugs" ist ein Fluggast auch dann nicht Besatzungsmitglied, wenn er die Piloten-Lizenz besitzt. Für die tatsächliche Übernahme von Pilotenpflichten durch den betreffenden Passagier, die grundsätzlich zu einer Mithaftung nach § 34 LuftVG führen kann, ist darlegungs- und beweisbelastet, wer sich auf eine solche Übernahme beruft.

4. Da es insoweit an einem speziellen Haftungstatbestand fehlt, sind die beteiligten Piloten im Geltungsbereich des LuftVG ausschließlich nach Maßgabe des § 823 Abs. 1 BGB zum Schadensersatz verpflichtet. Hierbei beurteilt sich das Vorliegen einer haftungsauslösenden Sorgfaltspflichtverletzung nach den einschlägigen, d.h. den jeweiligen Aufgabenkreis eines Flugzeugführers umschreibenden Bestimmungen der LuftVO.

5. Ein "Überschießen der Platzrunde" führt nicht automatisch zum Verlust des Vorflugrechtes nach § 13 Abs. 4 LuftVO. Für das Vorliegen eines Verstoßes gegen die Pflicht zur Luftraumbeobachtung kommt es auf die Umstände des Einzelfalles an.

 

Normenkette

BGB § 823 Abs. 1, § 840; LuftVG § 33 Abs. 1, §§ 34, 35 Abs. 1-2, §§ 36, 37 Abs. 2, § 38 Abs. 1, § 41 Abs. 1-2; LuftVO § 13 Abs. 4, § 22 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Aschaffenburg (Urteil vom 20.02.2013; Aktenzeichen 3 O 220/09)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Kläger und des Beklagten zu 1 wird das Urteil des LG Aschaffenburg vom 20.02.2013, Az. 3 O 220/09, abgeändert:

1.1 Die von den Klägern zu 1 bis zu 3 gegen den Beklagten zu 2 geltend gemachten Ansprüche sind dem Grunde nach gerechtfertigt. Sie sind jedoch jeweils auf die Höchstgrenzen des § 37 Abs. 2 LuftVG in der vom 01.07.2005 bis zum 31.05.2006 gültigen Fassung beschränkt

1.2 Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die weiter gehende Berufung der Kläger und die Berufung des Beklagten zu 2) werden zurückgewiesen.

3. Die Kläger haben die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu tragen, die der Beklagten zu 3 in erster Instanz und dem Beklagten zu 1 in beiden Instanzen entstanden sind. Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben die Klägerin zu 1 22,5 %, der Kläger zu 2 8,5 %, die Klägerin zu 3 19 % und der Beklagte zu 2 50 % zu tragen. Dem Beklagten zu 2 werden darüber hinaus 50 % der den Streithelferinnen im Berufungsverfahren entstandenen Kosten auferlegt. Im Übrigen tragen die Streithelferinnen diese Kosten selbst.

4. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die jeweiligen Kostenschuldner können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweiligen Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages leisten.

5. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Kläger verlangen von den Beklagten zu 1 und zu 2 - gegen die Beklagte zu 3 ist die Klage rechtskräftig abgewiesen - Schadensersatz und (nur Klägerin zu 1 und zu 3) Schmerzensgeld aufgrund eines Flugunfalles, der sich am 07.05.2006 im Bereich des Verkehrslandeplatzes R. ereignet hat.

Gegen 14.30 Uhr MESZ (12.30 UTC) stießen der vom Ehemann und Vater der Streithelferinnen der Kläger, Herrn C. X., unter Motor geführte Motorsegler GROB G 109 (Kennung ddd, zukünftig: Motorsegler) und das Motorflugzeug Cessna 172 (Kennung dee, zukünftig: Cessna), dessen Halter der Beklagten zu 2 war, zusammen. Beim Absturz des Motorseglers wurden sowohl Herr X. als auch der rechts neben ihm sitzende Ehemann und Vater der Kläger, Herr D. W., getötet. Die Cessna wurde zur Unfallzeit von einem Flugschüler geführt; der Beklagte zu 1 war der verantwortliche Fluglehrer.

Der Flugweg des Motorseglers vor der Kollision (zuletzt Kurs 057 °) ergibt sich aus GPS-Signalen, die - zuletzt um 14:37:32 h MESZ (= 12:37:32 UTC) - regelmäßig aufgezeichnet wurden (Auswertung Bl. 112 Aktenordner BFU). Der Funkverkehr zwischen dem Verkehrslandeplatz und den beiden Luftfahrzeugen wurde von der Bodenfunkstelle aufgezeichnet (Niederschrift Bl. 116 ff. Aktenordner BFU). Die Cessna führte einen nicht aufgezeichneten Landeanflug auf die Piste 08 des Flugplatzes aus, bei dem sie sich unmittelbar vor der Kollision in einem zwischen den Parteien streitigen Abstand zu der in d...

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