Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an positive Prognoseentscheidung nach § 56 I StGB bei nicht abgeschlossener Verhaltenstherapie
Leitsatz (amtlich)
Wird für die Sozialprognose im Sinne von § 56 I StGB entscheidend an eine im Zeitpunkt der Urteilsfindung begonnene aber noch andauernde verhaltenstherapeutische Langzeittherapie abgestellt, kann für die Erwartung einer positiven Legalbewährung die bloße Feststellung eines sowohl generell als auch für den Angeklagten konkret geeigneten Behandlungskonzepts und eines derzeit planmäßig verlaufenden Therapieverlaufs jedenfalls dann nicht ausreichend sein, wenn der Eintritt der (erhofften) Behandlungserfolge im maßgeblichen Zeitpunkt des Endes der Hauptverhandlung noch völlig ungewiss ist (u.a. Anschluss BayObLG, Urteil vom 25.05.2000 - 5 St RR 100/00).
Tatbestand
Zum Sachverhalt:
Das AG hat den Angekl. wegen Diebstahls zu einer nicht zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt. Nach den Feststellungen entwendete der zur Tatzeit 50-jährige und seit 1976 in einer Vielzahl von Fällen immer wieder insbesondere einschlägig strafrechtlich in Erscheinung getretene Angekl. am 14.01.2012 in den Geschäftsräumen eines Lebensmittelmarktes Tabak und Zigaretten im Gesamtwert von 155,05 €. Der Angekl. stand zur Tatzeit nicht nur aus einer seit Juni 2008 rechtskräftigen Vorverurteilung vom Mai 2008 wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten unter einer laufenden, zuletzt bis Juni 2012 verlängerten Bewährung, sondern wurde überdies zwischenzeitlich und innerhalb offener Bewährung im Januar 2011 wegen eines im Oktober 2010 begangenen weiteren Diebstahls zu einer seit August 2011 rechtskräftigen Geldstrafe verurteilt. Auf die gegen das Urteil des AG eingelegte Berufung des Angekl., die er auf den Rechtsfolgenausspruch und innerhalb dieses weitergehend auf die Frage der mit seinem Rechtsmittel begehrten Strafaussetzung zur Bewährung beschränkt hat, hat das LG das Urteil des AG dahin abgeändert, dass es die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt hat. Die gegen diese Rechtsfolgenentscheidung des LG zuungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der StA erwies sich als erfolgreich.
Entscheidungsgründe
Die statthafte (§ 333 StPO) und auch im Übrigen zulässige Revision der StA erweist sich schon auf die Sachrüge hin als (vorläufig) erfolgreich, weil die Berufungskammer die Anforderungen an eine günstige Täterprognose nach § 56 I StGBverkannt hat; die Urteilsgründe tragen die von ihr getroffene positive Prognoseentscheidung nicht. Auf die Verfahrensrüge kommt es deshalb nicht mehr an.
1. Durch die seitens des LG zutreffend als wirksam angesehene Beschränkung der Berufung auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung sind Schuld- und Strafausspruch des amtsgerichtlichen Urteils und die sie tragenden tatsächlichen Feststellungen in Rechtskraft erwachsen und für das weitere Verfahren bindend.
2. Wie die Strafzumessung im Allgemeinen ist zwar auch die Entscheidung über eine Strafaussetzung zur Bewährung grundsätzlich Sache des Tatrichters. Ihm steht bei der Beantwortung der Frage, ob die Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen ist, weil zu erwarten ist, dass der Angekl. sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird (§ 56I StGB), ein weiter Bewertungsspielraum zu, in dessen Rahmen das Revisionsgericht jede rechtsfehlerfrei begründete Entscheidung hinzunehmen hat. Das Revisionsgericht kann die Entscheidung deshalb grundsätzlich nur auf Ermessensfehler und Rechtsirrtümer überprüfen (BGH NStZ-RR 2010, 306 f.; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2005; 200 f.; OLG Brandenburg, Beschl. v. 21.02.2011 - 53 Ss 229/10 sowie Senatsurteil vom 24.01.2012 - 3 Ss 126/11 [jeweils bei [...]]; vgl. im gleichen Sinne aus der Kommentarliteratur z.B. Fischer StGB 60. Aufl. § 56 Rn. 11 m.w.N.). Selbst wenn das Revisionsgericht die Prognoseentscheidung des Tatgerichts für fragwürdig und die Auffassung der Anklagebehörde für überzeugender hält, hat es deshalb die subjektive Wertung der Strafkammer, soweit sie vertretbar ist und deshalb neben anderen abweichenden Meinungen als gleich richtig zu bestehen vermag, auch dann zu respektieren, wenn eine zum gegenteiligen Ergebnis führende Würdigung ebenfalls rechtlich möglich gewesen wäre. Die Entscheidung des Tatrichters, die Vollstreckung der Freiheitsstrafe nach § 56 I StGB zur Bewährung auszusetzen, ist mithin vom Revisionsgericht, sofern keine Rechtsfehler vorliegen, bis zur Grenze des Vertretbaren hinzunehmen, weil allein der Tatrichter sich aufgrund des persönlichen Eindrucks in der Hauptverhandlung und der Würdigung von Tat und Persönlichkeit des Angekl. eine Überzeugung davon verschaffen kann, ob zu erwarten ist, dass sich der Angekl. in Zukunft auch ohne Strafverbüßung straffrei führen wird (stRspr., vgl. z.B. BayObLG NStZ-RR 2004, 336 ff.; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1996, 260 f. und OLG Bamberg a....