Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftung der Eltern gegenüber dem eigenen Kind für leichte Fahrlässigkeit im Straßenverkehr und Gesamtschuldnerausgleich mit Dritten

 

Leitsatz (redaktionell)

Das Haftungsprivileg der §§ 1664 Abs. 1, 277 BGB findet nicht nur bei der Verletzung rein familienrechtlich begründeter Sorgfaltspflichten Anwendung. Es gilt auch bei der Verletzung allgemeiner deliktischer Verhaltenspflichten, wenn ein Zusammenhang mit der elterlichen Sorge besteht. Bei der Teilnahme am Straßenverkehr gilt dies jedenfalls dann, wenn die Eltern ihr Kind nicht als Kraftfahrer unter Verstoß gegen Verkehrsvorschriften schädigen.

 

Normenkette

BGB §§ 276-277, 426, 823 Abs. 1-2, § 840 Abs. 1, § 1664 Abs. 1; StGB § 229; StVO § 1 Abs. 2, § 25 Abs. 3; OWiG § 14

 

Verfahrensgang

LG Coburg (Urteil vom 13.07.2011; Aktenzeichen 21 O 757/10)

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des LG Coburg vom 13.7.2011 wird zurückgewiesen.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 120 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

IV. Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

A. Die Klägerin begehrt von der Beklagten im Wege des Gesamtschuldnerausgleichs die Freistellung von Schadensersatzansprüchen i.H.v. 50 %, die dem Sohn der Beklagten gegen ihre Versicherungsnehmerin nach einem Verkehrsunfall am 15.10.2007 zustehen.

Es wird Bezug genommen auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.

Das LG hat die Klage mit Endurteil vom 13.7.2011 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass ein Ausgleichsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte nicht bestehe, weil diese ihrem Sohn gegenüber nicht hafte. Die Beklagte habe ihre Aufsichtspflicht gegenüber ihrem Sohn allenfalls fahrlässig dadurch verletzt, dass sie eine leichte Vorwärtsbewegung gemacht habe, die ihr Sohn als Signal zum Überqueren der Straße aufgefasst habe, weshalb er losgelaufen und vom Fahrzeug der Versicherungsnehmerin der Klägerin erfasst worden sei. Es sei jedoch der Haftungsmaßstab des § 1664 Abs. 1 BGB anzuwenden. Grobe Fahrlässigkeit der Beklagten liege nicht vor. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Berufung verfolgt die Klägerin ihren erstinstanzlich gestellten Antrag weiter.

Sie hat vorgebracht, dass der Haftungsmaßstab des § 1664 Abs. 1 BGB im Straßenverkehr keine Anwendung finden könne. Das LG habe zudem den Verschuldensmaßstab der §§ 1664 Abs. 1, 277 BGB verkannt. Die Beklagte habe auch grob fahrlässig gehandelt.

Die Klägerin hat beantragt:

Das Endurteil des LG Coburg vom 13.7.2011 wird aufgehoben. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin jeweils 50 % der Leistungen zu erstatten und sie von zukünftigen Leistungen/Aufwendungen freizustellen, die der Klägerin aufgrund des Verkehrsunfalls vom 15.10.2007 gegen 15.38 Uhr in A. an der Einmündung der Straße "B." mit der B 173 entstanden sind und zukünftig entstehen, mit Ausnahme der Leistungen an Sozialversicherungsträger, solange und soweit bei diesen Sozialversicherungsträgern ein Familienprivileg besteht.

Die Beklagte hat die Zurückweisung der Berufung beantragt.

Es wird verwiesen auf die Berufungsbegründung vom 15.11.2011 (Bl. 67 ff. d.A.) und die Berufungserwiderung vom 15.12.2011 (Bl. 80 ff. d.A.).

B. Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg. Das LG hat zutreffend angenommen, dass die Beklagte ihrem Sohn gegenüber aus dem Unfallereignis vom 15.10.2007 nicht haftet, so dass schon kein Gesamtschuldverhältnis nach § 840 Abs. 1 BGB zwischen ihr und der Versicherungsnehmerin der Klägerin und demgemäß kein Ausgleichsanspruch nach § 426 BGB besteht.

I. Der Senat geht ebenso wie das LG davon aus, dass ein eventuelles haftungsbegründendes fahrlässiges Tun der Beklagten i.S.v. § 823 Abs. 1, § 823 Abs. 2 BGB, § 229 StGB ausschließlich darin gesehen werden kann, dass die Beklagte in der irrigen Annahme, die Straße sei frei, eine leichte Vorwärtsbewegung gemacht hat und ihr Sohn daraufhin über die Straße gerannt ist. Hingegen sind die weiteren von der Klägerin vorgebrachten Handlungen bzw. Unterlassungen der Beklagten mangels Fahrlässigkeit bereits nicht geeignet, eine Haftung zu begründen.

1. Die Beklagte hat die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nicht dadurch außer Acht gelassen, dass sie ihren zum Unfallzeitpunkt 6 Jahre alten Sohn weder an der Hand festgehalten noch ihn angewiesen hat, erst dann loszulaufen, wenn sie ihm dies sagt. Nach den unangegriffenen Feststellungen des LG war der Sohn der Beklagten in Begleitung eines Erwachsenen ein sicherer Verkehrsteilnehmer, der sich vor dem Unfall am 15.10.2007 noch nie unzuverlässig verhalten hatte. Er war an der Einmündung der Straße "B." in die B ...

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