Leitsatz (amtlich)
1. Die Qualifikation eines Rügevortrags im Rahmen der Revisionsbegründung ist unabhängig von seiner Selbstbezeichnung durch den Revisionsführer als Verfahrens- oder Sachrüge nach allgemeinen Grundsätzen der Auslegung zugänglich (Festhaltung an OLG Bamberg, Beschluss vom 30.06.2010 - 3 Ss OWi 854/10 = NZV 2011, 44 f.).
2. Die mit der Revision gegen eine Berufungsurteil ausschließlich vorgebrachte "Verfahrensrüge", das Berufungsgericht habe trotz einer wirksamen Berufungsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch eine vollständige Beweisaufnahme auch zur Schuldfrage durchgeführt, kann dahin auszulegen sein, dass mit ihr ein Rechtsfehler in der Gestalt eines Verstoßes gegen die Bindungswirkung der Feststellungen des Ersturteils zum Schuldumfang und damit das Vorliegen eines Verfahrenshindernisses geltend gemacht wird, was gegebenenfalls auch alleiniger sachlich-rechtlicher Angriffspunkt der Revision sein kann (Anschluss an BayObLGSt 1988, 173 f.).
Normenkette
StPO § 318 S. 1, §§ 333, 337, 344 Abs. 2 S. 2
Tatbestand
Das AG hat den Angekl. wegen "fahrlässigen Vollrausches und des Besitzes kinderpornographischer Schriften in 9 tateinheitlichen Fällen" zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 3 Monaten verurteilt. Das LG hat die wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung des Angekl. als unbegründet verworfen. Hiergegen wendet sich der Angekl. mit seiner Revision, die er ausdrücklich und nur mit der Verletzung von "Verfahrensrecht" begründet. Er beanstandet, dass das Berufungsgericht trotz wirksamer Strafmaßberufung ein vollständiges Berufungsverfahren durchgeführt, insbesondere "sämtliche Zeugen einvernommen" habe.
Das Rechtsmittel erwies sich als unbegründet.
Entscheidungsgründe
1. Die Revision ist zulässig, insbesondere formgerecht begründet. Ihrer Wirksamkeit steht entgegen der Auffassung der GStA auch nicht die Formvorschrift des § 344 II 2 StPO entgegen. Die Rüge, das Berufungsgericht habe sich zu den Feststellungen, die dem in Teilrechtskraft erwachsenen Urteilsspruch zugrunde liegen, in Widerspruch gesetzt und damit die eingetretene Bindungswirkung, die einer Befassung mit dem Schuldspruch entgegenstehe, nicht beachtet, bezeichnet der Revisionsführer zwar als Verfahrensrüge, doch macht er mit dieser Rüge, die nach allgemeinen Grundsätzen der Auslegung zugänglich ist (OLG Bamberg NZV 2011, 44 f.; vgl. aus der einhelligen Kommentarliteratur u.a. Meyer-Goßner StPO 55. Aufl. § 344 Rn. 10 ff.; KK/Kuckein StPO 6. Aufl. § 344 Rn. 19 ff.; HK/Temming StPO 4. Aufl. § 344 Rn. 6), einen sachlich-rechtlichen Mangel in Form des Vorliegens eines Verfahrenshindernisses geltend (BayObLGSt 1988, 173 f.); dieser kann gegebenenfalls auch alleiniger Angriffspunkt einer Revision sein (BGHSt 46, 230/236 f.; HansOLG Hamburg MDR 1958, 52).
2. Die Revision ist jedoch unbegründet. Die Durchführung eines "vollständigen Berufungsverfahrens, insbesondere mit Einvernahme sämtlicher Zeugen", auch zur Schuldfrage, trotz wirksamer Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch gefährdet hier den Bestand des angefochtenen Urteils nicht.
a) Das Berufungsgericht ist bei seiner Entscheidung zu Recht von einer wirksamen Beschränkung der Berufung ausgegangen, was der Senat - unabhängig von einer Rüge - auf Grund einer zulässigen Revision bereits von Amts wegen zu prüfen hat (BGHSt 27, 70/72). Ein Rechtsmittel kann grundsätzlich aufgrund der dem Rechtsmittelführer in § 318 S. 1 StPO eingeräumten Verfügungsmacht über den Umfang der Anfechtung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt werden. Eine wirksame Beschränkung ist nur in den Fällen nicht möglich, in denen Schuldspruch und Strafzumessung so eng miteinander verknüpft sind, dass eine getrennte Überprüfung der Strafzumessung nicht möglich wäre, ohne den nicht mitangefochtenen Schuldspruch zu berühren (OLG Oldenburg NStZ-RR 2008, 117 f.; OLG Frankfurt StV 2005, 559 ff.). Die Kammer ist vorliegend rechtsfehlerfrei von einer wirksamen Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch ausgegangen, weil eine getrennte Überprüfung der Strafzumessung möglich ist.
b) Das Berufungsgericht hat auch - entgegen der Ansicht der Revision - den ihm durch die Berufungsbeschränkung gesteckten Rahmen für seine Entscheidung eingehalten. Bei einer Strafmaßberufung darf das Berufungsgericht die Sachdarstellung des Ersturteils ergänzen. Die ergänzenden Feststellungen dürfen allerdings den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen zum Schuldspruch und gegebenenfalls zu weiteren das Tatgeschehen und damit den Schuldumfang im Sinne eines geschichtlichen Vorgangs näher beschreibenden Sachverhaltsannahmen nicht widersprechen, da die für den Schuld- und Strafausspruch maßgebenden Tatsachen ein einheitliches, insbesondere widerspruchsfreies Ganzes bilden müssen (Meyer-Goßner § 327 Rn. 6). Inwieweit durch das Berufungsgericht neue Feststellungen getroffen werden können, die über die des erstinstanzlichen und teilweise rechtskräftig gewordenen Urteils hinausgehen, ist eine Fra...