Entscheidungsstichwort (Thema)
Revision in Strafsachen: Wirksamkeit einer durch den Angeklagten erklärten Beschränkung der Berufung bei unterlassener Belehrung gemäß § 257c Abs. 5 StPO
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Verstoß gegen die Belehrungsverpflichtung nach § 257c Abs. 5 StPO stellt sich als fehlende und zugleich als unrichtige irreführende amtliche Auskunft dar.
2. Erklärt ein Angeklagter die Beschränkung seiner Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch und war diese Erklärung Gegenstand einer vorangegangenen Verfahrensabsprache, die unter Verstoß gegen die Belehrungsverpflichtung aus § 257c Abs. 5 StPO zustandegekommen ist, ist bei Fehlen gegenteiliger Anhaltspunkte im Sinne einer Regelvermutung davon auszugehen, dass die Beschränkungserklärung auf dem unmittelbar erklärungsrelevanten, mangelbehafteten verständigungsspezifischen Vorgehen des Berufungsgerichtes beruht.
3. Dies führt zur Unwirksamkeit der Beschränkungserklärung.
Normenkette
StPO § 257c Abs. 4-5
Verfahrensgang
LG Göttingen (Entscheidung vom 14.09.2015; Aktenzeichen 3 Ns 40/15) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Göttingen 14. September 2015 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Göttingen zurückverwiesen.
Gründe
I.
Der Angeklagte ist - nach Beschränkung seiner Berufung in der Hauptverhandlung auf den Rechtsfolgenausspruch, wobei diese Prozesshandlung Gegenstand zuvor geführter Verständigungsgespräche i.S.d. § 257c StPO war - durch Urteil des Landgerichts Göttingen vom 14. September 2015 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 12 Fällen sowie des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 2 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt worden, von denen 4 Monate als Kompensation für rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung als verbüßt gelten. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt und der Verfall von Wertersatz in Höhe von 7.500,00 Euro angeordnet.
Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 15. September 2015, eingegangen beim Landgericht am 18. September 2015, Revision eingelegt.
In der auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionsbegründung vom 13. November 2015 hat der Verteidiger beantragt, das landgerichtliche Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Göttingen zurückzuverweisen.
Mit Vorlageschreiben vom 04. Dezember 2015 hat die Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig beantragt, die Revision des Angeklagten gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.
II.
Die gemäß § 333 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige (§§ 341 Abs. 1, 344, 345 StPO) Revision des Angeklagten hat - zumindest vorläufigen - Erfolg, weil das Landgericht zu Unrecht von einer wirksamen Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch ausgegangen ist und es deshalb unterlassen hat, sämtliche gegen den Angeklagten erhobenen Tatvorwürfe in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nachzuprüfen und umfassende eigene Feststellungen zum Tatgeschehen zu treffen. Es hat damit über den Verfahrensgegenstand nur unvollständig entschieden.
Auf eine zulässige und ihrerseits unbeschränkte Revision hat das Revisionsgericht von Amts wegen, unabhängig von einer sachlichen Beschwer des Rechtsmittelführers zu prüfen, ob das Berufungsurteil über alle Teile des amtsgerichtlichen Urteils entschieden hat, die der Überprüfungskompetenz der Berufungskammer unterlagen (vgl. Franke in Löwe-Rosenberg, StPO 26. Auflage, § 337 Rn. 37). Aus diesem Grund muss das Revisionsgericht auch nachprüfen, ob und inwieweit die erklärte Berufungsbeschränkung rechtswirksam war (vgl. BGHSt 27, 70; OLG Bamberg DAR 2013, 585; OLG München zfs 2012, 472; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Auflage 2015, § 318 Rn. 33, § 352 Rn. 4).
Die vom Angeklagten zur Rechtfertigung der von ihm erhobenen Verfahrensrüge eines Belehrungsverstoßes nach § 257c Abs. 5 StPO vorgetragenen Verfahrenstatsachen begründen vorliegend die Unwirksamkeit der in der Hauptverhandlung am 14. September 2015 von ihm erklärten Berufungsbeschränkung.
Die nach § 318 StPO statthafte Beschränkung der Berufung auf bestimmte Beschwerdepunkte stellt der Sache nach eine Teilrücknahme des Rechtsmittels i.S.d. § 302 Abs. 1 S. 1 StPO dar (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, aaO., § 302 Rn. 2). Sie ist als gestaltende Prozesshandlung im Interesse des rechtsstaatlichen Bedürfnisses nach Rechtssicherheit grundsätzlich unwiderruflich und unanfechtbar (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, aaO., § 302 Rn. 9).
Beruht sie auf täuschungs- oder unverschuldet irrtumsbedingten schwerwiegenden Willensmängeln des Angeklagten, kann sie jedoch ausnahmsweise unwirksam sein. Ein solcher Ausnahmefall ist hier nicht gegeben. Dafür, dass die Beschränkungserklärung auf einen solchen Willensmangel zurückgeht, ist nichts ersichtlich.
D...