Leitsatz (amtlich)
1. Es stellt keine wirksame fristwahrende Einreichung eines einfach signierten Schriftsatzes dar, den ein Rechtsanwalt nicht über sein eigenes, sondern über das besondere elektronische Anwaltsfach (beA) eines anderen Rechtsanwalts dem Gericht übermittelt.
2. Das gilt auch dann, wenn zu diesem Zeitpunkt die Übermittlung über das eigene beA technisch gestört ist; das Senden über ein fremdes besonderes elektronisches Anwaltsfach ist kein vom Gesetz eröffneter Weg der Ersatzeinreichung.
3. Die Wirksamkeit der Einreichung eines bestimmenden Schriftsatzes kann im Einzelfall zwar dadurch erreicht werden, dass der Schriftsatz eine Übernahme der inhaltlichen (Mit-) Verantwortung (auch) durch den übersendenden Rechtsanwalt erkennen lässt. Allein die Versendung eines fremden Schriftsatzes über das eigene beA als solche enthält nach dem objektiven Empfängerhorizont jedoch nicht die - konkludente - Erklärung des übermittelnden Rechtsanwalts, den Schriftsatz inhaltlich mitverantworten zu wollen.
4. Mangels unverzüglicher Glaubhaftmachung einer vorübergehenden technischen Unmöglichkeit im Sinne von § 130d Satz 1 ZPO ist schon allein deshalb selbst eine nach § 130d Satz 2 ZPO statthafte Ersatzeinreichung unwirksam.
Normenkette
ZPO § 85 Abs. 2, § 130a Abs. 4 Nr. 2, §§ 130a, 130d Sätze 1-2, §§ 139, 233 S. 1, § 236 Abs. 2, § 522 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Göttingen (Urteil vom 19.01.2024; Aktenzeichen 4 O 31/22) |
Tenor
Der Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin vom 23.4.2024 wird zurückgewiesen.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 19.1.2024 - 4 O 31/22 - wird als unzulässig verworfen.
Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Der Streitwert des Berufungsrechtszuges wird auf 5.123,22 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerin begehrt von den Beklagten Schadensersatz aus einem behaupteten Verkehrsunfall, der sich im Jahr 2019 auf dem Parkplatz A.ring 8 in D. unter Beteiligung des Pkw Audi der Klägerin, FIN-Nr. ..., und des Pkw Hyundai des Beklagten zu 1, der bei der Beklagten zu 2 versichert war, ereignet haben soll.
Wegen des Sach- und Streitstands I. Instanz und der darin gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Das Landgericht hat nach Einspruch der Klägerin und deren persönlichen Anhörung das die Klage abweisende Versäumnisurteil vom 23.9.2023 - 4 O 31/22 - aufrechterhalten. Zur Begründung hat es ausgeführt, es lasse sich bereits kein Unfall im Sinne des § 7 StVG feststellen. Es handele sich allenfalls um ein fingiertes bzw. manipuliertes Unfallgeschehen, bei dem die Einwilligung in den Schadenseintritt einem Ersatz des Schadens entgegenstehe.
Die Klägerin hat gegen das Urteil form- und fristgerecht Berufung eingelegt. Auf ihren rechtzeitigen Antrag ist die Berufungsbegründungsfrist bis einschließlich zum 10.4.2024 verlängert worden. Die am 10.4.2024 elektronisch übermittelte Berufungsbegründungsschrift vom 10.4.2024 hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin einfach signiert. Übermittelt worden ist sie aber durch Herrn Rechtsanwalt P. über dessen besonderes elektronisches Anwaltsfach (beA).
Durch Verfügung des Senatsvorsitzenden vom 12.4.2024 ist der Prozessbevollmächtigte der Klägerin auf diesen Umstand hingewiesen worden sowie darauf, dass es deshalb an einer rechtzeitigen wirksamen Berufungsbegründung fehle und beabsichtigt sei, die Berufung als unzulässig zu verwerfen.
Mit Schriftsatz vom 23.4.2024, einfach signiert und per besonderem elektronischen Anwaltsfach durch bzw. ihres Prozessbevollmächtigten, Herrn Rechtsanwalt St., beantragt die Klägerin,
ihr wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Hierzu lässt sie im Wesentlichen vortragen, der vorgenannte Hinweis sei ihrem Prozessbevollmächtigten am 16.4.2024 zugegangen. Die Übermittlung der Berufungsbegründungsschrift vom 10.4.2024 über das beA eines anderen Rechtsanwalts sei als Ersatzübermittlung nötig gewesen, weil die Übermittlung über das Kanzlei-EDV-Programm "R." ihres Prozessbevollmächtigten technisch gestört gewesen sei. Entsprechendes gelte für dessen Versuch, sich über die Internetseite der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK-Seite) anzumelden. Auch die "verantwortliche Firma" für das EDV-Programm "R." sei nicht zu erreichen gewesen. Ein "Faxen" sei "nicht möglich" gewesen, "da der Termin mit dem Techniker, der sich um die Behebung des kaputten Kabels kümmern sollte, erst für Montag, den 22.4.2024, vereinbart" gewesen sei. Deshalb habe ihr Prozessbevollmächtigter, Herr Rechtsanwalt St., Herrn Rechtsanwalt P. gefragt, ob dieser die Berufungsbegründung über dessen Postfach versenden könne, "um einen fristgerechten Eingang der Berufungsbegründungsschrift zu gewährleisten".
Die Klägerin meint, ihr Prozessbevollmächtigter habe nichts anderes tun können, als den ihm "seit Jahren vertrauten" Rechtsanwalt um die Versendung aus dessen beA zu bitten. Die vom Senatsvorsitzenden zitierte Rechtsprechung, wonach eine solc...