Entscheidungsstichwort (Thema)

Anwaltsbeiordnung im Rahmen der Verfahrenskostenhilfebewilligung für ein Umgangsverfahren, Gebot des fairen Verfahrens

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei der Frage nach dem Vorliegen einer die Anwaltsbeiordnung in einem Umfangsverfahren rechtfertigenden schwierigen Sach- oder Rechtslage können in subjektiver Hinsicht auch besondere psychische Belastungen des um Verfahrenskostenhilfe nachsuchenden Beteiligten zu berücksichtigen sein.

2. Wenn das Gericht bis zum Erörterungstermin nicht auf Bedenken gegen die Anwaltsbeiordnung hingewiesen hat, darf ein Beteiligter, der rechtzeitig vorab einen entscheidungsreifen Verfahrenskostenhilfeantrag eingereicht hat, darauf vertrauen, dass die beantragte Beiordnung erfolgen wird. Unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen von § 78 Abs. 2 FamFG darf in einer solchen Situation die Anwaltsbeiordnung mit Rücksicht auf das verfassungsrechtliche Gebot des fairen Verfahrens nicht versagt werden.

 

Normenkette

FamFG § 78 Abs. 2

 

Verfahrensgang

AG Helmstedt (Aktenzeichen 4 F 59/22)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Helmstedt vom 04.08.2022 dahingehend abgeändert, dass der Antragstellerin ihre Verfahrensbevollmächtigte zur Vertretung in dem Verfahren beigeordnet wird.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

 

Gründe

I. Das Beschwerdeverfahren betrifft die Anwaltsbeiordnung im Rahmen der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für die Durchführung eines Verfahrens zur Umgangsregelung.

In der Hauptsache hat die Antragstellerin mit anwaltlichem Schreiben vom 27.01.2022 die Regelung des Umgangs des Antragsgegners mit den beiden gemeinsamen, damals acht- und sechsjährigen, Kindern der Beteiligten beantragt und hierzu vorgebracht, eine außergerichtliche verlässliche Umgangsregelung sei auch mit Hilfe des Jugendamts wegen der Weigerungshaltung des Antragsgegners nicht zustande gekommen. Gleichzeitig hat die Antragstellerin die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung ihrer Verfahrensbevollmächtigten beantragt und eine Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Anlagen eingereicht. Das Amtsgericht hat für die Kinder eine Verfahrensbeiständin bestellt und am 21.02.2022 die Kinder angehört. Im Erörterungstermin am 22.02.2022 haben die Beteiligten sodann abschließend eine umfangreiche Vereinbarung über die Regelung der regelmäßigen Wochenendumgänge und der Ferienumgänge getroffen. Im Nachgang hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 18.03.2022 den Verfahrenswert festgesetzt. Eine Entscheidung über den Verfahrenskostenhilfeantrag der Antragstellerin hat es erst getroffen, nachdem die Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin mit Schreiben vom 10.07.2022 einen Antrag auf Vergütungsfestsetzung eingereicht hatte. Mit Beschluss vom 04.08.2022 ist der Antragstellerin ratenfreie Verfahrenskostenhilfe bewilligt, dabei die Anwaltsbeiordnung jedoch abgelehnt worden, da es ihr wegen der einfachen Sach- und Rechtslage auch mit Blick auf den Amtsermittlungsgrundsatz zuzumuten gewesen sei, das Verfahren ohne anwaltlichen Beistand zu führen. Der Sachverhalt sei nicht zuletzt deshalb einfach gelagert, weil das Umgangsrecht des Vaters nicht in Frage gestellt worden sei.

Gegen den ihrer Verfahrensbevollmächtigten am 08.08.2022 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin mit ihrem beim Amtsgericht am 05.09.2022 eingegangenen Schreiben vom selben Tag sofortige Beschwerde eingelegt, mit der sie sich gegen die Ablehnung der Anwaltsbeiordnung wendet. Sie macht geltend, die Beiordnung dürfe nicht durch die Bezugnahme auf den Amtsermittlungsgrundsatz versagt werden. Zudem sei zu beachten, dass der Vater sich im Vorfeld geweigert habe, mit Hilfe des Jugendamts eine verlässliche Umgangsregelung zu treffen. Eine solche sei jedoch im Kindesinteresse erforderlich gewesen, zumal ihr Sohn bereits psychische Auffälligkeiten gezeigt habe. Auch habe der Antragsgegner die Antragstellerin durch die Verweigerung von Unterschriften in sorgerechtlichen Angelegenheiten und die fehlende Mitwirkung am Versorgungsausgleich unter Druck gesetzt. Sie habe sich angesichts dessen nicht in der Lage gesehen, den Antrag auf Umgangsregelung allein zu stellen, sondern habe anwaltlicher Unterstützung bedurft.

Mit Beschluss vom 14.09.2022 hat das Amtsgericht der Beschwerde nicht abgeholfen und die Angelegenheit dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II. Die gem. § 76 Abs. 2 FamFG i.V.m. §§ 127 Abs. 2, 567 ff. ZPO zulässige sofortige Beschwerde des Antragstellers hat auch in der Sache Erfolg.

Der Antragstellerin ist im Rahmen der bewilligten Verfahrenskostenhilfe antragsgemäß die von ihr bevollmächtigte Rechtsanwältin beizuordnen.

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