Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzlichkeitsfiktion der Widerrufsbelehrung bei einem ab dem 21. März 2016 abgeschlossenen zinslosen Verbraucherdarlehensvertrag

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei unentgeltlichen, ab dem 21. März 2016 geschlossenen Verbraucherdarlehens-verträgen wird das Widerrufsrecht nach § 514 Abs. 2 BGB durch die reguläre Widerrufsfrist gem. §§ 355 Abs. 2 Satz 1, 356 d Satz 1 BGB und die Widerrufshöchstfrist gem. § 356 d Satz 2 BGB begrenzt.

2. Die 14-tägige Widerrufsfrist beginnt gemäß § 356 d Satz 1 BGB nicht bevor der Unternehmer den Verbraucher entsprechend den Anforderungen des § 514 Abs. 2 Satz 3 BGB über dessen Widerrufsrecht unterrichtet hat. Der Belehrungspflicht kann der Unternehmer nachkommen, indem er dem Verbraucher das in der Anlage 9 zu Art. 246 Abs. 3 EGBGB vorgesehene Muster für die Widerrufsbelehrung ordnungsgemäß ausgefüllt in Textform übermittelt. Die in Art. 247 §§ 6 bis 13 EGBGB vorgeschriebenen (Pflicht-)Angaben muss der unentgeltliche Darlehensvertrag nicht enthalten.

3. Einer Anwendung dieser Gesetzlichkeitsfiktion hinsichtlich der Widerrufsbelehrung steht das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 26. März 2020 (Aktenzeichen: C-66/19) nicht entgegen. Die Verbraucherkreditrichtlinie findet nach ihrem Art. 2 Abs. 2 lit. f) auf einen zinslosen Verbraucherdarlehensvertrag keine Anwendung.

4. Einer Anwendung der Gesetzlichkeitsfiktion steht nicht entgegen, dass der Darlehensgeber in die Widerrufsinformation eine Belehrung zu den Konsequenzen eines Widerrufs für die Anmeldung zum Kreditschutzbrief aufnimmt und dabei zwei Varianten des Kreditschutzbriefes - getrennt durch einen Schrägstrich - nennt, ohne sich insoweit auf die von dem Verbraucher gewählte Variante zu beschränken. Die beiden Varianten der Restschuldversicherungen stehen dergestalt zueinander, dass die weitergehende Variante denknotwendig den Grundvertrag einschließt.

5. Wertete man die Nennung beider Varianten des Kreditschutzbriefes gleichwohl als unzulässige Ergänzung der Musterwiderrufsinformation, könnte sich der Verbraucher auf das Fehlen des Musterschutzes nur berufen, wenn dieses Verhalten nicht rechtsmissbräuchlich gem. § 242 BGB ist. Insoweit zu berücksichtigen sind u.a. die nur geringfügige Abweichung der Belehrung vom Muster, die Kenntnis des Verbrauchers von der fehlenden Relevanz dieser Abweichung für ihn sowie sein Verhalten gegenüber dem Darlehensgeber betreffend das Zugestehen eines Werter-satzes für den Gebrauch des mit dem Darlehensvertrag finanzierten Fahrzeuges. Das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 9. September 2021 (Aktenzeichen: C-33/20, C-155/20 und C-187/20) steht der Annahme des Rechtsmissbrauchs nicht entgegen, weil es sich allein mit der Auslegung der Verbraucherkreditrichtlinie befasst, die auf zinslose Darlehensverträge jedoch keine Anwendung findet.

 

Normenkette

BGB §§ 242, 355 Abs. 2 S. 1, § 356d Sätze 1-2, § 357 Abs. 7, §§ 358, 491, 495, 514 Abs. 2; EGBGB Art. 246 Abs. 3 Anl. 9, Art. 247 §§ 6-13; EGRL 48/2008 Art. 2 Abs. 2 Buchst. f., Art. 10 Abs. 2 Buchst. p

 

Verfahrensgang

LG Braunschweig (Urteil vom 30.06.2021; Aktenzeichen 10 O 4540/19 (002))

 

Nachgehend

OLG Braunschweig (Beschluss vom 12.05.2022; Aktenzeichen 4 U 89/21)

 

Tenor

... weist der Senat darauf hin, dass er beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 30. Juni 2020 gem. § 522 Abs. 2 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.

 

Gründe

I. Die gemäß § 511 ZPO statthafte und gemäß §§ 517, 520 ZPO zulässig eingelegte und begründete Berufung hat in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO).

Das landgerichtliche Urteil beruht weder auf einem Rechtsfehler noch rechtfertigen die gemäß § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung.

Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

1. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von 7.045,20 Euro nach Rückgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs gem. §§ 514 Abs. 2, 355, 356 d, 358, 357 ff. BGB in der gemäß Art. 229 §§ 32 Abs. 1, 38 Abs. 1, 40 Abs. 1 EGBGB anzuwendenden, zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses gültigen und zugleich aktuellen Fassung bzw. gem. §§ 812 Abs. 1 Satz 1 (1. Alt.), 818 BGB.

Der Kläger hat den streitgegenständlichen Darlehensvertrag nicht fristgerecht widerrufen.

a) Das Widerrufsrecht des Klägers ergibt sich nicht aus § 495 BGB, sondern allein aus § 514 Abs. 2 BGB.

aa) Nach § 495 Abs. 1 BGB steht das Widerrufsrecht grundsätzlich jedem Verbraucher zu, der Partei eines Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrages nach § 491 Abs. 1 BGB ist. Allgemein-Verbraucherdarlehensverträge sind gemäß § 491 Abs. 2 BGB ausschließlich entgeltliche Darlehensverträge, weshalb sich das Widerrufsrecht des Verbrauchers gemäß § 495 BGB nicht auf unentgeltliche Verträge erstreckt (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 16. Oktober 2020 - 24 U 42/20 -, juris, Rn. 4; OLG Stuttgart, Urteil vom 01. Oktober 2019 - 6 U 332/18 -, juris, Rn. 19; vgl. auch zum E...

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