Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen der Schätzung zwecks Anordnung des selbständigen Verfalls

 

Leitsatz (amtlich)

1. Auch wenn § 29a Abs. 3 OWiG dem Tatrichter die Möglichkeit einräumt, den dem Verfall unterliegenden Betrag zu schätzen, müssen zuvor alle Beweismittel, die ohne unverhältnismäßige Schwierigkeiten erlangt werden können (hier: Frachtrechnungen), genutzt werden.

2. Zudem müssen in der gerichtlichen Entscheidung die tragenden Grundlagen der Schätzung mindestens so weit nachvollziehbar angegeben werden, dass für das Rechtsbeschwerdegericht die Möglichkeit der Nachprüfung besteht und erkennbar wird, dass - ggf. auch unter Beachtung des Zweifelssatzes - eine Zuvielbelastung des Betroffenen ausgeschlossen werden kann.

3. Der bloße Verweis auf einschlägige Kalkulationstabellen - hier: Kostensätze Gütertransport Straße (KGS) - genügt jedenfalls dann nicht, wenn der zur Entscheidung anstehende (Transport-) Fall Anlass gibt, die Anwendbarkeit der Tabellen in Zweifel zu ziehen.

 

Verfahrensgang

AG Braunschweig (Entscheidung vom 09.04.2013)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird das Urteil des Amtsgericht Braunschweig vom 9. April 2013 zum Rechtsfolgenausspruch mit den dazugehörigen Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht Braunschweig zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Die Verfallsbeteiligte führt mit Lastkraftwagen Gütertransporte durch. Für die Firma D.B. AG ist sie ständiger Logistikpartner und transportiert regelmäßig Kfz-Teile von Volduchy (CZ) nach Bremen. Am 13. Januar 2012 wurde ihr Fahrer, Herr S., im Bereich des Landkreises Peine auf der BAB 2 kontrolliert. Dabei wurde festgestellt, dass der Sattelzug, deren Halterin die Betroffene ist, im Frontbereich (nach Abzug einer Toleranz von 0,01 m) eine Höhe von 4,08 m aufwies und somit die gemäß § 32 Abs. 2 StVZO zulässige Höhe überschritt. Welchen Transportlohn die Verfallsbeteiligte vereinnahmte, ist nicht festgestellt. Jedoch hat das Amtsgericht unter Zugrundelegung der inländischen Fahrtstrecke von 550 Km (gerechnet ab dem Grenzübergang Asch - die gesamte Fahrstrecke beträgt ca. 670 Km) sowie des Gewichts der Ladung von 17,2 to anhand der "Kostensätze Gütertransport Straße - KGS" für den Transport einen Betrag von 1.361,44 € geschätzt, wovon es 900,- € für verfallen erklärt hat.

Gegen dieses Urteil hat die Verfallsbeteiligte Rechtsbeschwerde eingelegt. Sie hat - hilfsweise - beantragt wie erkannt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat ebenfalls beantragt wie erkannt.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und hat auch - jedoch nur zum Rechtsfolgenausspruch - einen zumindest vorläufigen Erfolg.

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1. Soweit die Verfahrensrüge erhoben ist und mit der Sachrüge die Voraussetzungen für die Anordnung des selbständigen Verfalls in Zweifel gezogen werden, ist die Rechtsbeschwerde aus den Gründen der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft vom 14.06.2013, auf die insoweit Bezug genommen wird, unbegründet i. S. d. § 349 Abs. 2 StPO i. V. m. § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG.

Die Voraussetzungen für die Anordnung des selbständigen Verfalls (§ 29 a Abs. 2, Abs. 4 OWiG) sind gegeben: Es liegt zunächst eine mit Geldbuße bedrohte Handlung vor (§§ 24 StVG, 69 a Abs. 3 Nr. 2, 32 Abs. 2 StVZO). Die Anordnung des Verfalls gegenüber der Betroffenen ist auch berechtigt, weil der Transport für die Verfallsbeteiligte durchgeführt worden ist. Sodann ist es rechtlich zutreffend, dass das Amtsgericht auf der Grundlage des Bruttoprinzips das Entgelt, das die Verfallsbeteiligte für den Transport vereinnahmt hat, als erlangt im Sinne des § 29 a Abs. 2 OWiG angesehen hat (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 30.08.2011, 322 SsBs 175/11, Rdnr. 5 ff.; juris). Das Amtsgericht hat auch in zutreffender Weise klargestellt, dass es sich bei der Anordnung des selbständigen Verfalls um eine Ermessensentscheidung handelt und welche Erwägungen in diese eingestellt wurden (vgl. dazu Senatsbeschlüsse vom 08.02.2013, Ss (OWi) 18/13 und vom 18.03.2013, Ss (OWi) 65/13; jeweils nicht veröffentlicht).

2. Allerdings reichen die vom Amtsgericht Braunschweig getroffenen Feststellungen nicht aus, um die Schätzung eines Transportentgeltes in Höhe von 1.361,44 € und folglich auch die Höhe des durch Ermessen davon reduzierten Verfallsbetrages in Höhe von 900,- € in nachvollziehbarer Weise zu belegen.

Zur Verfahrensvereinfachung räumt § 29a Abs. 3 OWiG dem Tatrichter allerdings ausdrücklich die Möglichkeit ein, den dem Verfall unterliegenden Betrag zu schätzen. Dabei ist unter Schätzung zu verstehen, dass sich der Richter unter Befreiung vom Strengbeweis nach § 244 StPO, ggf. unter Hinzuziehung eines Sachverständigen, mit einer vermutlichen Wertannahme begnügen kann (vgl. Fischer, StGB 60. Aufl., Rdnr. 5 zu § 73b). Geschätzt werden dürfen dabei der Umfang des Erlangten sowie der Wert des erlangten Gegenstandes (vgl. Mitsch in Karlsruher Kommentar zum OWiG, 3. Aufl., Rdnr. 47 zu § 29a).

Das Amtsgericht beruft sich im vorl...

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