Leitsatz (amtlich)
Über die Strafaussetzung zur Bewährung für mehrere in einem Urteil verhängte Freiheitsstrafen kann nur gleichlautend aufgrund einer einheitlichen Prognose entschieden werden; die teilweise auch vertretene Auffassung, auch die Aussetzung nur einer von mehreren Strafen sei möglich, fußt auf einer überholten Gesetzeslage.
Verfahrensgang
LG Braunschweig (Entscheidung vom 02.06.2004; Aktenzeichen 11 Ns 65/04) |
AG Braunschweig (Aktenzeichen 9 Ls 803 Js 47638/02) |
Tenor
Auf die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft Braunschweig wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 02. Juni 2004 im Rechtsfolgenausspruch hinsichtlich der Frage der Strafaussetzung zur Bewährung bei beiden Gesamtfreiheitsstrafen mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts Braunschweig zurückverwiesen.
Gründe
I.
Durch Urteil vom 26.11.2003 hat das Schöffengericht in ... gegen den Angeklagten eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten wegen unerlaubten Handelns mit Betäubungsmitteln verhängt. Es hat festgestellt, der Angeklagte habe in der Zeit von Januar 1998 bis März 2003 in mindestens 50 Fällen jeweils mindestens ein halbes Gramm Kokain für 30,00 EUR an den Zeugen A. und in der Zeit von März bis August 2000 in mindestens 30 Fällen jeweils mindestens 1 g Kokain an den Zeugen B. mit dem handelsüblichen Gewinn verkauft. Wegen jeder dieser Taten hat das Amtsgericht eine Einzelstrafe von vier Monaten Freiheitsstrafe verhängt und aus diesen Einzelstrafen die bereits genannte Gesamtfreiheitsstrafe gebildet.
Das Schöffengericht hat weiter festgestellt, dass der Angeklagte bereits durch Urteil des Amtsgerichts ... vom 29.07.2002 - rechtskräftig seit dem 06.08.2002 - wegen unerlaubten Besitzes von Haschisch und wegen unerlaubten Handelns mit Kokain zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten mit Bewährung und zu einer gesonderten Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 10,00 EUR verurteilt worden war. Das Schöffengericht hat davon abgesehen, diese Verurteilung in seine Entscheidung einzubeziehen und zur Begründung darauf verwiesen, dass nicht habe festgestellt werden können, wie viele Taten vor und wie viele Taten nach dem 29.07.2002 begangen worden sind.
Das rechtzeitig eingelegte und als Berufung zu behandelnde Rechtsmittel des Angeklagten hat das Landgericht durch Urteil vom 02.06.2004 mit der Maßgabe verworfen, dass es den Angeklagten wegen unerlaubten Handelns mit Kokain in 70 Fällen unter Einbeziehung der Verurteilung durch das Amtsgericht ... vom 29.07.2002 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren unter Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung und darüber hinaus wegen unerlaubten Handelns mit Kokain in zehn Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt hat. Das Landgericht ist hinsichtlich der einzelnen Taten im Grundsatz zu denselben Feststellungen wie das Schöffengericht gelangt, hat jedoch zusätzlich festgestellt, dass zehn Verkäufe von Kokain an den Zeugen A. nach dem 29.07.2002 und die übrigen Verkäufe an den Zeugen A. und den Zeugen B vor dem 29.07.2002 abgewickelt worden sind. Aus diesem Grunde ist die Kammer abweichend vom Amtsgericht zu einer Einbeziehung der Strafen aus dem Urteil vom 29.07.2002 gelangt. Die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten wegen zehn Fällen des Handelns mit Kokain hat das Landgericht unter Hinweis darauf nicht zur Bewährung ausgesetzt, dass der Angeklagte diese Taten nach der einschlägigen Vorverurteilung vom 29.07.2002 begangen hat. Die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren hat es demgegenüber u.a. mit der Begründung zur Bewährung ausgesetzt, dass der Angeklagte bei Begehung der jeweiligen Taten noch nicht vorbestraft gewesen sei und dass für ihn ein geregeltes soziales Umfeld vorhanden sei.
Gegen das Urteil des Landgerichts hat der Angeklagte rechtzeitig und formgerecht unter Erhebung der Sachrüge Revision eingelegt; er beantragt, unter teilweiser Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache insoweit zurückzuverweisen, als der Angeklagte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten ohne Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden ist. Nach dem Zusammenhang der Revisionsbegründung begehrt der Angeklagte Strafaussetzung auch hinsichtlich dieser Teilstrafe.
Demgegenüber verfolgt die Staatsanwaltschaft mit ihrer ebenfalls rechtzeitig eingelegten und begründeten Revision das Ziel, die Aussetzung der Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren zur Bewährung zu beseitigen. Sie beantragt, das angefochtene Urteil "im Hinblick auf die gewährte Strafaussetzung zur Bewährung aufzuheben", weil die Begründung des Landgerichts zur Bewilligung von Bewährung einerseits und zur Verweigerung von Bewährung andererseits widersprüchlich sei. Bei der Prüfung der Frage, ob dem Angeklagten eine günstige Sozialprognose gestellt werden könne...