Entscheidungsstichwort (Thema)
Übliche Beschaffenheit eines Oldtimer-Pkw
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Käufer kann beim Erwerb eines Fahrzeugs als "Oldtimer" oder "Youngtimer" generell nicht ohne Weiteres erwarten, dass das Fahrzeug mit dem Originalzustand zum Zeitpunkt der Herstellung übereinstimmt, insbesondere also "Matching Numbers" aufweist. Die Erwartung "Matching Numbers", also die Ausstattung mit demselben Motor und/oder Getriebe wie bei der Werksauslieferung ist auch nicht im Hinblick auf eine etwa absolvierte oder vereinbarte Oldtimer-Hauptabnahme gemäß § 23 StVZO berechtigt.
2. Auch angesichts einer relativ zum Fahrzeugalter (hier: 31 Jahre) geringen tatsächlichen Laufleistung (hier: ca. 39000 km) eines "Oldtimers" oder "Youngtimers" kann dessen Käufer aus objektiver Sicht nicht ohne Weiteres davon ausgehen, das Fahrzeug sei noch mit demselben Motor ausgestattet, mit dem es das Werk des Herstellers verlassen hat.
3. Ein zum Herstellungszeitpunkt eines Fahrzeugs erstelltes Zertifikat des Herstellers (z. B. "Datenkarte", "VeDoc Status Ausgeliefert") ist lediglich eine Bestätigung darüber, mit welchen technischen Merkmalen und/oder welcher Ausstattung das Fahrzeug produziert wurde; es beschreibt regelmäßig nicht den aktuellen Zustand zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt seines Verkaufs als "Oldtimer" bzw. "Youngtimer"; es stellt deshalb ohne Weiteres auch keine dahingehende Beschaffenheitsangabe dar, wenn das Zertifikat bei einem solchen Verkauf dem Käufer schlicht übergeben wird.
4. Die Angabe im Kaufvertrag über ein Kraftfahrzeug "Abgelesener Tachostand" ist keine Äußerung zur Laufleistung des Fahrzeugs als Beschaffenheit, sondern eine bloße Wissenserklärung über das Ergebnis der Ablesung des Tachostands.
Normenkette
BGB §§ 305, 305b, 309 Nr. 7b, §§ 323, 346, 434 Abs. 2, § 437 Nr. 2, § 440; HGB § 377; StVZO § 23
Verfahrensgang
LG Göttingen (Aktenzeichen 3 O 61/20) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 29.9.2021 - 3 O 61/20 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass das vorbezeichnete Urteil des Landgerichts Göttingen dahingehend berichtigt wird, dass auf dessen Seite 5 in der dritten Zeile des letzten Absatzes das zweite Wort statt "Klägerin" richtig "Beklagte" lautet.
Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsrechtszuges zu tragen.
Das Urteil des Landgerichts vom 29.9.2021 - 3 O 61/20 - ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines Betrages in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Der Streitwert des Berufungsrechtszuges wird auf 28.560,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerin begehrt nach von ihr erklärtem Rücktritt die Rückabwicklung des Kaufes eines bei der Beklagten am 4.2.2020 erworbenen Pkw-Oldtimers Mercedes-Benz 560 SEL.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands I. Instanz und der darin gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils (S. 2-4 = Bl. 198-200 d.A. d.A.) Bezug genommen.
Das Landgericht hat die Klage nach Vernehmung von Zeugen und persönlicher Anhörung der Parteien abgewiesen. Ein Rückabwicklungsanspruch stehe der Klägerin nicht zu. Dass es sich bei dem im Fahrzeug verbauten Motor und der Schließanlage nicht mehr um die Originalteile handele, die das Fahrzeug bei Werksauslieferung aufgewiesen habe, stelle mangels feststellbarer entsprechender Vereinbarung keinen Mangel dar. Der Umstand, dass der von der Beklagten der Klägerin nachgesandte Schlüsselsatz nicht zu allen Schlössern des Fahrzeugs passe, berechtige nicht zum Rücktritt, weil die Klägerin insoweit der Beklagten keine Nacherfüllungsfrist gesetzt habe.
Gegen dieses ihrem Prozessbevollmächtigten am 1.10.2021 (Bl. 214 d.A.) zugestellte Urteil hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 27.10.2021 (Bl. 213 d.A.), eingegangen beim Oberlandesgericht am selben Tag (Bl. 212 d.A.), Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 15.11.2021 (Bl. 220ff. d.A.), eingegangen beim Oberlandesgericht am selben Tag (Bl. 219 d.A.), begründet.
Die Klägerin verfolgt ihr erstinstanzliches Ziel in vollem Umfang weiter. Zur Begründung führt sie an:
Das Landgericht habe die von ihr dargelegten Tatsachen und angebotenen Beweise nicht hinreichend bzw. unrichtig gewürdigt. Das Fahrzeug habe sehr wohl zwei Mängel aufgewiesen: zum einen die weder originale noch funktionsfähige Schließanlage, zum anderen sei das Fahrzeug unstreitig nicht mehr mit dem Motor ausgestattet gewesen, welches bei Erstauslieferung werkseitig verbaut gewesen sei. Die Beklagte sei ein auf Youngtimer und Oldtimer spezialisierte Gebrauchtwagenhändler und habe mit dem abgelesenen km-Stand von nur 38.444 "hinreichend Werbung betrieben" und sie - die Klägerin - "angelockt". Die Beklagte habe arglistig gehandelt. Dabei könne es dahinstehen, ob die Klägerin das Fahrzeug im Rahmen e...