Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufsichtsrat: Untreue durch Aufsichtsratsmitglieder
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Aufsichtsratsmitglied trifft auch in eigenen Vergütungsangelegenheiten eine Vermögensbetreuungspflicht, wenn sich der Vorwurf nicht auf das Aushandeln einer überhöhten Vergütung durch das Aufsichtsratsmitglied, sondern auf die Abrechnung und Auszahlung einer Vergütung unter bewusstem Verstoß gegen eine Satzung i. S. d. § 113 AktG richtet.
2. Der Untreuetatbestand ist weder durch das Merkmal einer gravierenden Pflichtverletzung noch aus anderen Gründen einzuschränken, wenn die gebotene Verfahrensweise durch eine Satzung vorgegeben ist, die keinen Handlungsspielraum zulässt.
3. Aufsichtsratsmitglieder haben eine Garantenstellung im Sinne des auf den Untreuetatbestand anwendbaren § 13 StGB.
4. Erlangt der Aufsichtratsvorsitzende Kenntnis von bevorstehenden, satzungswidrigen Zahlungen an andere Aufsichtsratsmitglieder, dann muss er in Erfüllung seiner Garantenpflicht den Aufsichtsrat gemäß § 110 Abs.1 AktG einberufen, um einen Beschluss (§ 108 Abs.1 AktG) zu erwirken, der den Vorstand zur Änderung der rechtswidrigen Vorgehensweise anhält.
5. Einfache Aufsichtsratsmitglieder sind in solchen Fällen gehalten, den Aufsichtsratsvorsitzenden zur Einberufung des Kontrollgremiums zu veranlassen oder - bei Weigerung des Vorsitzenden - den Aufsichtsrat selbst gemäß § 110 Abs.2 AktG einzuberufen.
6. Aufsichtsratsmitglieder können sich nicht darauf berufen, dass bei einer Aufsichtsratssitzung die erforderliche Stimmenmehrheit verfehlt worden wäre. Von der strafrechtlichen Mitverantwortung werden sie nur befreit, wenn sie alles Zumutbare tun, um die notwendige Kollegialentscheidung herbeizuführen.
Normenkette
StGB §§ 13, 266 Abs. 1 Alt. 2; AktG § 108 Abs. 1, § 110 Abs. 1-2, § 113
Verfahrensgang
LG Braunschweig (Entscheidung vom 28.12.2011) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft wird der Beschluss des Landgerichts - Wirtschaftsstrafkammer - Braunschweig vom 28. Dezember 2011 aufgehoben.
Die Anklage der Staatsanwaltschaft Braunschweig vom 24. August 2011 wird zur Hauptverhandlung zugelassen.
Das Hauptverfahren wird vor dem Landgericht - Wirtschaftsstrafkammer - Braunschweig eröffnet.
Die Kammer ist in der Hauptverhandlung mit 3 Berufsrichtern einschließlich des Vorsitzenden und 2 Schöffen besetzt.
Der Senat weist darauf hin, dass die Angeklagten jeweils hinreichend verdächtig sind, 8 tatmehrheitliche Straftaten gemäß §§ 266 Abs. 1 Var.2, 53 StGB begangen zu haben.
Gründe
I.
Die Staatsanwaltschaft Braunschweig legt den Angeklagten mit Anklageschrift vom 24. August 2011 zur Last, dass sie sich im Zeitraum vom Dezember 2005 bis Juli 2009 gemäß §§ 266 Abs. 1 Var. 2, Abs. 2, 263 Abs. 3 Nr. 1, Nr. 2 StGB strafbar gemacht hätten. Dabei beschreibt die Staatsanwaltschaft den Sachverhalt wie folgt:
"Der Angeschuldigte H. war vom September 2002 bis Juli 2006 Aufsichtsratsvorsitzender der N. AG, Braunschweig, und bis Juli 2010 Mitglied des Aufsichtsrats. Der Angeschuldigte Dr. I. war seit dem 10.09.2004 Mitglied des Aufsichtsrats der N. AG und von Juli 2006 bis Juli 2011 dessen Vorsitzender.
Für ihre Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglieder erhielten die Angeschuldigten sowie die übrigen Mitglieder des Aufsichtsrats eine Vergütung, welche in § 14 der Satzung der N. AG in der von 2001 bis Juli 2009 geltenden Fassung geregelt ist. Danach erhielten die Aufsichtsratsmitglieder neben einer festen und einer variablen Vergütung sowie der Erstattung von Auslagen auch ein Sitzungsgeld. Die Regelung zum Sitzungsgeld in § 14 Abs. 3 lautete: "Jedes Mitglied des Aufsichtsrat erhält für die Teilnahme an Sitzungen des Aufsichtsrats oder seiner Ausschüsse ein Sitzungsgeld in Höhe von € 150,-- pro Tag."
In den Geschäftsjahren bzw. Kalenderjahren ab Juli 2005 bis Februar 2009 fanden insgesamt 101 Sitzungen des Aufsichtsrates und seiner Ausschüsse statt. Der Aufsichtsrat und seine Ausschüsse tagten im zweiten Halbjahr 2005 9 mal, im ersten Halbjahr 2006 22 mal, im zweiten Halbjahr 2006 12 mal, im ersten Halbjahr 2007 16 mal, im zweiten Halbjahr 2007 11 mal, im ersten Halbjahr 2008 16 mal, im zweiten Halbjahr 2008 11 mal und im Zeitraum Januar 2009 bis 28.02.2009 5 mal.
Tatsächlich erhielten die Mitglieder des Aufsichtsrates nicht nur für diese Sitzungen ein Sitzungsgeld i. H. v. 150,- EUR, sondern auch für eine Vielzahl weiterer Termine. Insgesamt zahlte die N. AG 819 mal zu viel Sitzungsgeld i. H. v. jeweils 150,- EUR aus. Dadurch wurde an die einzelnen Aufsichtsratsmitglieder insgesamt eine Summe von 122.850,- EUR zu Unrecht ausgezahlt. Auf die einzelnen Abrechnungszeiträume entfielen dabei 18.300,- EUR auf das 2. Halbjahr 2005, 14.250,- EUR auf das 1. Halbjahr 2006, 14.550,- EUR auf das 2. Halbjahr 2006, 17.100,- EUR auf das 1. Halbjahr 2007, 14,400,- EUR auf das 2. Halbjahr 2007, 21.750,- EUR auf das 1. Halbjahr 2008, 17.100,- EUR auf das 2. Halbjahr 2008 sowie 5.400,- EUR auf den Zeitraum 1.1. bis 28.02.2009.
Die Abrechnung der Sitzungsgelder erf...