Leitsatz (amtlich)
1. Auch im Bußgeldverfahren kann der Betroffene nicht darauf verwiesen werden, sich bei terminlicher Verhinderung seines Verteidigers durch einen anderen Verteidiger (oder gar durch sich selbst) verteidigen zu lassen.
2. Ein Terminsverlegungsantrag darf grundsätzlich nicht mit der Begründung abgelehnt werde, das Gericht habe sehr viele Bußgeldverfahren zu bearbeiten.
Verfahrensgang
AG Helmstedt (Entscheidung vom 20.10.2011) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Helmstedt vom 20. Oktober 2011 wird zugelassen.
Das genannte Urteil wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Zulassungsbeschwerde - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Helmstedt zurückverwiesen.
Gründe
Der Landkreis Helmstedt erließ gegen den Betroffenen am 18. Juli 2011 einen Bußgeldbescheid. Auf dessen Einspruch bestimmte das Gericht Termin zur Hauptverhandlung auf den 20. Oktober 2011. Mit Schriftsatz vom 7. Oktober 2011 beantragte der Betroffene, ihn vom persönlichen Erscheinen zu entbinden. Außerdem suchte er um die Verlegung des Verhandlungstermins nach, weil sein Verteidiger wegen einer Fortbildungsveranstaltung verhindert sei.
Das Gericht befreite den Betroffenen mit Verfügung vom 19. Oktober vom persönlichen Erscheinen, lehnte jedoch die begehrte Terminsverlegung ab und teilte dies dem Verteidiger des Betroffenen um 9.27 Uhr per Fax mit. Daraufhin legte der Betroffene gegen die Ablehnung der Terminsverlegung am 19. Oktober um 18.05 Uhr Beschwerde ein und lehnte den zuständigen Richter zugleich wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Wegen der Einzelheiten des Schriftsatzes, der im Zulassungsantrag wörtlich wiedergegebene wird, wird auf BI. 67 - 70 d.A. verwiesen.
Das Amtsgericht Helmstedt führte dennoch am 20. Oktober in Abwesenheit des Betroffenen und seines verhinderten Verteidigers die Hauptverhandlung durch. Während der Hauptverhandlung verkündete das Gericht einen Beschluss, in dem die Unzulässigkeit der Beschwerde und des Befangenheitsgesuchs festgestellt wird. Das Befangenheitsgesuch verfolge "erkennbar das Ziel, die verweigerte Terminsverlegung noch auf diesem Wege zu erreichen". Eine weitere Begründung enthält der Beschluss nicht.
Sodann verurteilte das Amtsgericht den Betroffenen durch das angefochtene Urteil wegen eines fahrlässigen Verkehrsverstoßes (ungenügender Sicherheitsabstand) zu einer Geldbuße von 100,- EUR.
Gegen das am 31. Oktober 2011 zugestellte Urteil hat der Betroffene mit einem am 2. November 2011 eingegangenen Schriftsatz die Zulassung der Rechtsbeschwerde beantragt und diese in einem weiteren, am 7. Dezember 2011 eingegangenen Schriftsatz mit der Versagung rechtlichen Gehörs begründet. Er beantragt, die Rechtsbeschwerde zuzulassen und das Urteil des Amtsgerichts Helmstedt aufzuheben. Die Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig beantragt, die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen. Der Zulassungsantrag, mit dem der Betroffenen einen Verstoß gegen das rechtliche Gehör rügt, entspricht den Vorschriften zur Begründung einer Verfahrensrüge (§ 344 Abs.2 Satz 2 StPO i.V.m. § 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG).
Er hat auch in der Sache Erfolg. Das Amtsgericht Helmstedt hat einen Verstoß gegen das rechtliche Gehör i.S.d. § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG begangen, indem es am 20. Oktober 2011 das Befangenheitsgesuch vom 19. Oktober 2011 ohne die gebotene Auseinandersetzung mit dem Inhalt dieses Gesuchs gemäß § 26a StPO als unzulässig verworfen und sodann in Abwesenheit des Verteidigers die Hauptverhandlung durchgeführt hat. Diese Vorgehensweise war rechtswidrig, weil im Befangenheitsgesuch Verfahrensverstöße aufgezeigt wurden und deshalb das Regelverfahren nach § 27 StPO hätte gewählt werden müssen. Nach § 26a StPO darf nur vorgegangen werden, wenn es sich um eine reine Formalentscheidung handelt, die keine Auseinandersetzung mit den konkreten Umständen des Einzelfalles erfordert (BVerfG, Beschluss vom 02.06.2005, 2 BvR 625/01, 2 BvR 638/01, [...], Rn. 57; BVerfG, Beschluss vom 27.04.2007, 2 BvR 1674/06, [...], Rn. 53 ff., 56).
1.
Der Zulassungsantrag zeigt auf, dass das Verlegungsgesuch durch die Verfügung vom 19. Oktober 2011 nicht mit einer ermessenfehlerfreien Begründung abgelehnt wurde.
In einem Bußgeldverfahren hat der Betroffene regelmäßig das Recht, sich durch einen Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen. Diese Gewährleistung ist Ausdruck seines von Art 2 GG geschützten Anspruchs auf ein faires Verfahren (OLG Köln, Beschluss vom 22.10.2004, 8 Ss-OWi 48/04, [...], Rn. 19, 21; OLG Thüringen, Beschluss vom 13.08.2007, 1 Ss 145/07, [...], Rn. 8; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 31.01.2006, 1 Ss 165/05, [...], Rn. 6; BayObLG, Beschluss vom 31.10.2001, 1 ObOWi 433/01, [...], Rn. 5). Der Vorsitzende ist deshalb unter anderem gehalten, über Terminsverlegungsanträge nach pflichtgemäßem Ermessen unter. Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles zu entscheiden (OLG Thüringen, a. a. ...