Entscheidungsstichwort (Thema)
Verwerfung der Berufung und Frage der Wiedereinsetzung bei geplantem Ausbleiben des Angeklagten und schuldhaftem Ausblieben des bevollmächtigten Verteidigers
Leitsatz (amtlich)
1. Das Vertrauen eines Angeklagten darauf, sein Verteidiger werde absprachegemäß von der ihm erteilten Vertretungsvollmacht Gebrauch machen, entschuldigt die eigene Abwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung nicht.
2. Nimmt der Verteidiger den Termin in solchen Fällen schuldhaft nicht wahr, ist die Berufung des Angeklagten zu verwerfen.
3. Ein Wiedereinsetzungsantrag, der lediglich damit begründet wird, dass der Angeklagte seinen Verteidiger pflichtbewusst und sorgfältig mit der Vertretung beauftragt und sich auf dessen Erscheinen verlassen hat, ist unbegründet.
4. Alle Tatsachen, auf die der Antragsteller sein Wiedereinsetzungsgesuch stützen möchte, müssen innerhalb der Frist des § 329 Abs. 7 Satz 1 StPO dargelegt werden.
Normenkette
StPO § 44 S. 1, § 329 Abs. 1 S. 1, Abs. 7 S. 1
Verfahrensgang
LG Braunschweig (Entscheidung vom 15.11.2021; Aktenzeichen 7 Ns 912 Js 45621/20 (233/21) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Braunschweig vom 15. November 2021 wird auf seine Kosten als unbegründet verworfen.
Gründe
I.
Der Angeklagte wurde durch Urteil des Amtsgerichts Wolfsburg vom 28. Juni 2021 wegen "Trunkenheit im Verkehr" (gemeint: vorsätzliche Trunkenheit im Verkehr) zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 15,00 € verurteilt. Daneben wurde seine Fahrerlaubnis entzogen, sein Führerschein eingezogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, dem Angeklagten vor Ablauf von zwei Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.
Die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte legten gegen dieses Urteil form- und fristgerecht Berufung ein. Die Vorsitzende der Berufungskammer bestimmte Termin für die Hauptverhandlung über die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft auf den 3. November 2021 und ordnete das persönliche Erscheinen des Angeklagten an. In den der Ladung beigefügten Hinweisen ist zu den Folgen unentschuldigten oder nicht genügend entschuldigten Ausbleibens ausgeführt:
"Die Folgen richten sich danach, wer die Berufung eingelegt hat:
1. Sie selbst haben Berufung eingelegt:
Grundsätzlich wird eine von Ihnen eingelegte Berufung sofort verworfen, es sei denn,
a) Sie werden im Termin von einer/einem Verteidiger(in) mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht vertreten [...]
2. Die Staatsanwaltschaft oder die Nebenkläger haben Berufung eingelegt:
Das Gericht wird entweder darüber verhandeln oder aber Ihre Verhaftung oder Vorführung anordnen [...]
4. Sowohl Sie selbst als auch die Staatsanwaltschaft oder die Nebenkläger haben die Berufung eingelegt:
- Wegen Ihres Rechtsmittels wird das Gericht wie unter 1. erläutert, verfahren.
- Wegen des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft oder der Nebenkläger wird entweder verhandelt oder aber Ihre Verhaftung oder Vorführung angeordnet werden.
Die Rechtsmittel werden also getrennt behandelt."
Zu dem Hauptverhandlungstermin erschien weder der Angeklagte noch ein bevollmächtigter Verteidiger. Die Kammer verwarf daraufhin die Berufung des Angeklagten durch Urteil. Im weiteren Verlauf der Verhandlung (über die Berufung der Staatsanwaltschaft) erschien der Verteidiger des Angeklagten, gab an, sich in der Terminsstunde geirrt zu haben, und übermittelte den Ausdruck des Fotos eines Schreibens mit dem folgenden Inhalt:
"M 2.11.21
Betreff: Vollmacht
Hiermit bevollmächtige ich, B, Herrn Ba als mein Vertreter im Berufungsverfahren um meine Führerscheinssache mich in meiner Abwesenheit zu vertreten. Auch möchte ich mich für meine Abwesenheit entschuldigen!
Gruss
B"
Die Kammer setzte die Hauptverhandlung über die Berufung der Staatsanwaltschaft aus.
Mit am 10. November 2021 bei dem Landgericht Braunschweig eingegangenen Schriftsatz seines Verteidigers vom selben Tag hat der Angeklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und Revision gegen das Urteil vom 3. November 2021 eingelegt. Er begründet seinen Wiedereinsetzungsantrag damit, dass er nicht zur Hauptverhandlung habe kommen können, weshalb er seinem Verteidiger eine besondere Vertretungsvollmacht erteilt habe. Sein Verteidiger habe ihm nicht mitgeteilt, dass diese Vollmacht für die Berufung der Staatsanwaltschaft nicht ausreichend sei.
Die Berufungskammer hat den Wiedereinsetzungsantrag durch den angefochtenen Beschluss vom 15. November 2021 als unbegründet verworfen. Den Angeklagten treffe ein eigenes Verschulden am Ausbleiben in der Berufungshauptverhandlung. Die (oben dargestellten) Hinweise in der Ladung seien eindeutig gewesen, so dass der Angeklagte nicht auf die Mitteilung seines Verteidigers, er müsse nicht zum Termin erscheinen, habe vertrauen dürfen. Nach den Hinweisen habe der Angeklagte nicht ohne Weiteres davon ausgehen können, dass ohne ihn über beide Berufungen verhandelt werden könne.
Gegen diesen, dem Verteidiger des Angeklagten am 16. November 2021 zugestellten Beschluss ha...