Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Amts wegen bei Versäumung der Revisionsbegründungsfrist
Leitsatz (amtlich)
1. Gemäß § 24 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) RPflG ist die Aufnahme von Erklärungen über die Einlegung und Begründung der Revision in Strafsachen zu Protokoll der Geschäftsstelle (§ 345 Abs. 2 StPO) allein dem Rechtspfleger übertragen, der die Belehrungs- und Fürsorgepflichten gemäß Nr. 150 Abs. 2 bis Abs. 6 RiStBV zu beachten hat.
2. Ist eine zu Protokoll der Geschäftsstelle angebrachte Revisionsbegründung deshalb unwirksam, weil die Erklärungen des Angeklagten durch einen unzuständigen Beamten aufgenommen wurden, besteht grundsätzlich die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Amts wegen.
3. Auch im Falle einer ausschließlich auf Fehlern der Justiz beruhenden Unzulässigkeit eines Rechtsmittels kann die Wiedereinsetzung von Amts wegen nur dann gewährt werden, wenn die versäumte Handlung nachgeholt wurde, worauf der Angeklagte hinzuweisen ist.
4. Zur Nachholung der versäumten Handlung steht dem Angeklagten die Monatsfrist aus § 345 Abs. 1 Satz 1 StPO (und nicht nur die Wochenfrist aus § 45 Abs. 1 S.1, Abs. 2 S. 2 StPO) zur Verfügung.
Normenkette
StPO §§ 44, 45 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 2, § 345 Abs. 1 S. 1, Abs. 2; RPflG § 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b; RiStBV Nr. 150 Abs. 2-6
Verfahrensgang
LG Braunschweig (Entscheidung vom 09.12.2015; Aktenzeichen 7 Ns 300/15) |
Tenor
1. Der Angeklagte wird darauf hingewiesen, dass ihm Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 9. Dezember 2015 gewährt werden kann, wenn er innerhalb einer Frist von einem Monat, die mit der Zustellung dieses Beschlusses beginnt, die Revision (noch einmal) begründet.
2. Der Beschluss des Landgerichts Braunschweig vom 19. Januar 2016 (Verwerfung der Revision als unzulässig) wird aufgehoben.
3. Der Antrag des Angeklagten auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers für das Revisionsverfahren wird zurückgewiesen (Insoweit: Entscheidung des Vorsitzenden).
Gründe
I.
Der Angeklagte ist vom Amtsgericht Goslar am 10. September 2015 wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 25,- € verurteilt worden. Seine dagegen gerichtete Berufung hat das Landgericht Braunschweig am 09. Dezember 2015 mit der Maßgabe verworfen, dass die Tagessatzhöhe auf 10,- € reduziert wird. Darüber hinaus ist ihm gestattet worden, die Geldstrafe ratenweise zu begleichen.
Gegen das in seiner Anwesenheit verkündete und am 15. Dezember 2015 zugestellte Berufungsurteil hat der Angeklagte am Tag der Verkündung zu Protokoll einer Justizhauptsekretärin der Geschäftsstelle des Landgerichts Braunschweig Revision eingelegt. Das Protokoll hat den folgenden Wortlaut:
"Ich lege gegen das heute gegen mich ergangene Urteil Revision ein, da bei mir der Eindruck einer hohen Voreingenommenheit mir gegenüber entstanden ist bei gleichzeitiger Vorteilsvergabe an die Zeugin. Dieser Frau scheint alles geglaubt worden zu sein, mir allerdings nichts.
[...]
Mir ist aufgefallen, dass, wenn Aussage gegen Aussage steht, hier dagegen gehandelt wurde, dass gegen die Gesetze gehandelt wurde in dem heute hier ergangenen Urteil, denn es heißt: "...für den Angeklagten und nicht gegen den Angeklagten...
Außerdem beantrage ich die Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist, da ich mir erst einen Anwalt suchen muss."
Das Protokoll ist vom Angeklagten eigenhändig unterzeichnet worden.
Mit einem handschriftlichen Schreiben vom 07. Januar 2016, eingegangen bei dem Landgericht Braunschweig am 11. Januar 2016, welches der Angeklagte eigenhändig unterschrieben hat, beantragt er die Aufhebung aller Urteile in der Strafsache S. und Abweisung der Klage der Frau S. Weiterhin wird ausgeführt:
"Die Schimpfwörter die Frau S. mir zugeschoben hat bestreite ich entschieden. Somit steht hier Aussage gegen Aussage, das heißt: 'Im Zweifelsfall für den Beklagten und nicht gegen ihn.'"
Mit Beschluss vom 19. Januar 2016, der dem Angeklagten am 21.01.2016 zugestellt worden ist, hat das Landgericht Braunschweig die Revision des Angeklagten als unzulässig verworfen.
Dagegen wendet sich der Angeklagte mit seinem als Einspruch bezeichneten Schreiben vom 22. Januar 2016, das am 27. Januar 2016 beim Landgericht Braunschweig eingegangen ist. Zugleich beantragt er die Beiordnung eines Verteidigers für das Revisionsverfahren.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, den Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts als unbegründet zu verwerfen.
II.
1. Hinweis auf eine etwaigen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Der angefochtene Beschluss war aufzuheben und der Angeklagte über die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand betreffend die versäumte Revisionsbegründungsfrist zu belehren, weil die Revision ohne sein Verschulden formunwirksam begründet wurde.
Gemäß § 24 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) RPflG ist die Aufnahme von Erklärungen über die Einlegung und Begründung der Revision in Strafsachen dem Rechtspfleger übertragen, der die Bel...