Entscheidungsstichwort (Thema)
Gerichtsstandsbestimmung bei nicht mitgeteilter Unzuständigkeitserklärung im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO
Leitsatz (amtlich)
1. Fehlt es an einer rechtskräftigen Unzuständigkeitserklärung im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO, weil diesbezügliche Beschlüsse den Parteien nicht mitgeteilt worden sind, findet eine Bestimmung des zuständigen Gerichts nicht statt (Anschluss an BGH, Beschluss vom 4. Juni 1997 - XII ARZ 13/97 -, NJW-RR 1997, S. 1161; Beschluss vom 22. Februar 1995 - XII ARZ 2/95 -, NJW-RR 1995, S. 641)
2. Ist außergerichtlich zunächst ein höherer Betrag geltend gemacht worden, so ist zu der später eingeklagten (geringeren) Hauptforderung nur der Teil der außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten als streitwerter-höhende Hauptforderung hinzuzurechnen, der sich nicht auf die eingeklagte Hauptforderung bezieht; der andere Teil der außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten stellt eine Nebenforderung im Sinne des § 4 ZPO dar (Anschluss an BGH, Beschluss vom 17. Februar 2009 - VI ZB 60/07 -, juris, Rn. 4, 6 = NJW-Spezial 2009, S. 380; Beschluss vom 26. März 2013 - VI ZB 53/12 -, NJW 2013, S. 2123 [2124 Rn. 6]).
3. Eine Abgabe vor Zustellung der Klage ist keine Verweisung im Sinne des § 281 Abs. 1 ZPO und entfaltet keine Bindungswirkung (Anschluss an OLG Hamm, Beschluss vom 15. Mai 2017 - 32 SA 19/17 -, juris, Rn. 19).
Normenkette
GVG § 23 Nr. 1; RVG-VV Nr. 2300;; ZPO §§ 2, 4 Abs. 1, § 36 Abs. 1 Nr. 6, § 281 Abs. 1, 2 S. 4, § 329 Abs. 2
Verfahrensgang
AG Göttingen (Aktenzeichen 18 C 184/19) |
Tenor
Die Bestimmung des zuständigen Gerichts wird abgelehnt.
Gründe
I. Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung von Restwerklohn für Bauleistungen und auf Zahlung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Anspruch.
Mit Schlussrechnung vom 3. April 2019 stellte die Klägerin der Beklagten 87.764,02 EUR abzüglich eines Abschlags von 68.265,43 EUR in Rechnung, mithin 19.498,59 EUR (Bl. 60-64 d.A.). Darauf zahlte die Beklagte 12.587,01 EUR. Den verbleibenden Betrag von 6.911,58 EUR machte die Klägerin mit außergerichtlichem anwaltlichem Schreiben vom 12. Juni 2019 geltend (Bl. 65 f. d.A.).
Mit der Klage macht die Klägerin 4.304,99 EUR nebst Zinsen (Klageantrag zu 1.) sowie weitere 746,73 EUR für außergerichtliche Rechtsanwaltskosten (Klageantrag zu 2.) geltend. Der mit Klageantrag zu 1. geforderte Betrag ergebe sich daraus, dass von dem Gesamtbetrag ein Nachlass von 1 % abgezogen worden sei, so dass sich (87.764,02 EUR - 8.776,40 EUR =) 86.886,38 EUR ergäben. Ein darauf bezogener Gewährleistungseinbehalt von 3 % betrage 2.606,59 EUR, so dass sich die eingeklagten (6.911,58 EUR - 2.606,59 EUR =) 4.304,99 EUR ergäben. Den Betrag des Klageantrags zu 2. errechnet die Klägerin aus einem Gegenstandswert von 6.911,58 EUR.
Mit Beschluss vom 30. August 2019 (Bl. 132 d.A.) setzte das Amtsgericht den Streitwert vorläufig auf 5.051,72 EUR fest. Der in Klageantrag zu 2. geltend gemachte Betrag stelle keine Nebenforderung zu dem im Klageantrag zu 1. geltend gemachten Betrag dar; die Forderung, auf die sich der Klageantrag zu 2. beziehe, habe seinerzeit 6.911,58 EUR betragen, eine solche Hauptforderung werde mit der Klage aber nicht geltend gemacht.
Auf Verweisungsantrag der Klägerin erklärte sich das Amtsgericht mit Beschluss vom 3. September 2019 (Bl. 134 d.A.) für unzuständig und gab den Rechtsstreit an das Landgericht ab.
Mit Beschluss vom 9. Oktober 2019 (B. 137-140 d.A.) lehnte das Landgericht die Übernahme des Verfahrens ab. Der vom Amtsgericht angenommene Zuständigkeitsstreitwert sei evident falsch; der Werklohnanspruch, den die Klägerin zunächst außergerichtlich geltend gemacht habe, sei lediglich betragsmäßig um den Nachlass und den Gewährleistungseinbehalt reduziert worden. Die Nichtanwendung des § 4 Abs. 1 Halbsatz 2 ZPO stelle sich daher als willkürlich dar. Selbst wenn man die außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten bezogen auf den nicht eingeklagten Teilbetrag von 2.606,59 EUR als Hauptforderung ansähe, überschritte der Streitwert die Schwelle von 5.000,00 EUR nicht.
Die Akte ist mit Schreiben der Geschäftsstellenbeamtin des Amtsgerichts vom 22. Oktober 2019 "gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO" dem Oberlandesgericht übersandt worden; eine entsprechende Verfügung findet sich in der Akte nicht.
Die Parteien haben sich gegenüber dem Oberlandesgericht den Ausführungen des Landgerichts angeschlossen. Die Klage ist noch nicht zugestellt.
II. Die Voraussetzungen einer Gerichtsstandsbestimmung durch das Oberlandesgericht liegen nicht vor.
1. Der Beschluss des Amtsgerichts vom 3. September 2019 stellt keine rechtskräftige Unzuständigkeitserklärung im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO dar, weil er nur der Klägerin - nicht aber der Beklagten - mitgeteilt worden ist. Dasselbe gilt für den Beschluss des Landgerichts vom 9. Oktober 2019, den das Landgericht keiner der Parteien mitgeteilt hat. Nicht verkündete Beschlüsse sind gemäß § 329 Abs. 2 ZPO den Parteien formlos mitzuteilen. Ist eine solche Mitteilung unterblieben, ...