Leitsatz (amtlich)

Gebietet es die Fürsorgepflicht des Gerichts, die Hauptverhandlung zu einem späteren Zeitpunkt beginnen zu lassen oder zu verlegen, so kann eine gegenteilige Verfahrensweise die Rechtsbeschwerde nach § 338 Nr. 8 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG begründen (für Nichtberücksichtigung der Terminslage des Verteidigers).

 

Verfahrensgang

AG Salzgitter (Entscheidung vom 18.12.2008)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Salzgitter vom 18. Dezember 2008 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht Salzgitter zurückverwiesen.

 

Gründe

Die Rechtsbeschwerde ist begründet.

Durch das angefochtene Urteil ist dem Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der durch Verkehrszeichen 274 auf 60 km/h beschränkten Geschwindigkeit um 46 km/h eine Geldbuße von 100,00 Euro sowie ein Fahrverbot von 1 Monat (mit der Möglichkeit, den Führerschein erst innerhalb von 4 Monaten nach Rechtskraft in amtliche Verwahrung zu geben) auferlegt worden. Das Amtsgericht hat festgestellt, dass der Betroffene die genannte Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit am 21.08.2008 um 11.49 Uhr mit dem PKW Audi (amtliches Kennzeichen: XXXXX) auf der B 6 in Richtung Goslar in Höhe Kilometer 6,3 begangen habe. Hiergegen hat der Betroffene unter Erhebung der Verfahrens- und der Sachrüge Rechtsbeschwerde eingelegt. Die Generalstaatsanwaltschaft unterstützt das Rechtsmittel und hat beantragt wie erkannt.

Die Rechtsbeschwerde ist in zulässiger Weise eingelegt und begründet worden und hat bereits auf die Verfahrensrüge hin in der Sache selbst einen Zwischenerfolg. Hierzu hat die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 23.02.2009 unter anderem folgendes ausgeführt:

"Schon die zulässig erhobene (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG) Rüge der unzulässigen Beschränkung der Verteidigung (§ 338 Nr. 8 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG) durch Ablehnung der beantragten Aussetzung des Verfahrens (§ 265 Abs. 4 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG) greift durch.

Zwar gibt eine Verhinderung des Wahlverteidigers dem Betroffenen nicht an sich das Recht, die Aussetzung der Verhandlung zu verlangen (§ 228 Abs. 2 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG). Allerdings können es die dem Gericht obliegende Fürsorgepflicht und der Anspruch des Betroffenen auf ein faires Verfahren gebieten, die Hauptverhandlung auf Antrag oder von Amts wegen gemäß § 265 Abs. 4 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG zu vertagen oder auszusetzen, wenn der Verteidiger, der in der Hauptverhandlung auftreten will, an der Terminswahrnehmung aus wichtigen Gründen gehindert ist (Senge, in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, 3. Aufl., § 71 Rdnr. 65). Gebietet es danach die Fürsorgepflicht des Gerichts, die Hauptverhandlung zu einem späteren Zeitpunkt beginnen zu lassen oder zu verlegen, so kann eine gegenteilige Verfahrensweise die Rechtsbeschwerde nach § 338 Nr. 8 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG begründen (Seitz, in: Göhler, OWiG, 14. Aufl., § 71 Rdnr. 30 a. E.). Nicht anders liegt es hier.

Der Betroffene hat das Recht auf wirksame Verteidigung (Art. 6 Abs. 3 Buchstabe c) MRK). Er kann sich in jeder Lage des Verfahrens des Beistands eines Verteidigers bedienen (§ 137 Abs. 1 Satz 1 StPO); dies gilt wegen § 46 Abs. 1 OWiG auch im Bußgeldverfahren (BayObLG NStZ 2002, 97). Deshalb muss das Gericht - der Vorsitzende - bei der Entscheidung über den Verlegungsantrag im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens die Interessen der Beteiligten und das Gebot der Verfahrensbeschleunigung gegeneinander abwägen (OLG Braunschweig StV 2008, 293 f. m. w. Nachw.), wobei das Verteidigungsinteresse im Zweifel Vorrang hat (BayObLG a.a.O.; Seitz, a.a.O.).

Diesen Anforderungen wird der vom Amtsgericht in der Hauptverhandlung am 18.12.2008 erlassene Beschluss, mit dem der Antrag des Betroffenen auf Aussetzung des Hauptverhandlungstermins abgelehnt wurde, nicht gerecht.

Das Amtsgericht hat den Aussetzungsantrag sinngemäß mit der Begründung abgelehnt, dass der Verteidiger zu spät - drei Wochen nach Erhalt der Ladung - um Terminsverlegung gebeten habe und deshalb auf die Verhinderung nicht mehr durch Terminsverlegung "sachgerecht reagiert werden" konnte.

Soweit durch diese Begründung eine Nachlässigkeit des Verteidigers durch verzögerte Reaktion auf die Terminsbestimmung belegt werden soll, greift dies zu kurz. Denn sie berücksichtigt nicht, dass die Terminsladung dem Betroffenen erst am 03.12.2008 zugestellt worden ist, nachdem sie zunächst aufgrund fehlerhafter Adressierung, die dem Gericht zuzurechnen ist, als unzustellbar in Rücklauf geraten war. Der Betroffene hat dann ohne Verzögerung seinen Verteidiger um Beistand auch im Hauptverhandlungstermin gebeten, woraufhin der Verteidiger dem Gericht umgehend seine Verhinderung aufgrund eines anerkannten Hinderungsgrundes, nämlich einer Überschneidung mit einem anderen Hauptverhandlungstermin (vgl. OLG Zweibrücken NZV 1993, 81), mitgeteilt hat...

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