Entscheidungsstichwort (Thema)
Aussetzungsbeschluss unter Bezugnahme auf EuGH-Vorlage eines fremden Verfahrens - Ermessensfehlerhafte Aussetzung bei Abweisungsreife der Klage
Leitsatz (amtlich)
1. Wird ein Rechtsstreit gemäß § 148 ZPO in entsprechender Anwendung ausgesetzt, um das Ergebnis einer in einem fremden Verfahren eingeleiteten EuGH-Vorlage abzuwarten, so ist diese Aussetzungsentscheidung gemäß § 252 ZPO mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar. Der grundsätzlich beschränkte Prüfungsmaßstab des Beschwerdegerichts erstreckt sich auf die formelle Entscheidungserheblichkeit des fremden Vorlageverfahrens für das ausgesetzte Verfahren sowie die Prüfung von Ermessensfehlern (vgl. OLG Braunschweig, Beschluss vom 2. März 2022 - 4 W 4/22 -, juris).
2. Ermessensfehlerhaft ist die Aussetzung eines Verfahrens, wenn der Rechtsstreit aus Sicht des aussetzenden Gerichts zur Entscheidung reif ist oder wenn die Frage der Entscheidungsreife offengelassen wird. Das Gericht darf das Verfahren nicht mit der Begründung aussetzen, die Abweisung der Klage als "derzeit unbegründet" trete hinter der Möglichkeit zurück, eine weitergehende oder nachhaltigere Beendigung des Rechtsstreites zu erreichen.
3. Widerruft der Verbraucher einen mit einem Kaufvertrag verbundenen Verbraucherdarlehensvertrag und macht die Bank bezogen auf die Rückgabepflicht des Verbrauchers die Kaufsache betreffend ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 358 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 357 Abs. 4 Satz 1 BGB in der seit dem 13. Juni 2014 gelten-den Fassung geltend, so mangelt es dem Rückabwicklungsanspruch des Verbrauchers an der Fälligkeit, soweit die Bank mit der Entgegennahme der zurückzugebenden Sache nicht im Annahmeverzug ist.
4. Zur Begründung des Annahmeverzuges muss der Verbraucher die Kaufsache der Bank unbedingt, im Sinne einer Vorleistungspflicht und unter Beachtung des Wesens der Bring- oder Schickschuld anbieten.
Normenkette
BGB § § 242, 293-294, 295 S. 1 Alt. 1, § 295 S. 1 Alt. 2, § 322 Abs. 2, § 357 Abs. 4 S. 1, § 358 Abs. 4 S. 1; ZPO §§ 148, 252, 300, 308, 567 Abs. 1 Nr. 1, § 568 S. 2 Nr. 2
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten werden der Aussetzungsbeschluss des Landgerichts Braunschweig vom 25. Februar 2022 und der Nichtabhilfebeschluss vom 12. April 2022 aufgehoben.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I. Mit Klageschrift vom 7. Juli 2020, der Beklagten zugestellt am 28. Oktober 2020, nimmt die Klägerin die Beklagte auf Rückabwicklung eines mit einem Kraftfahrzeugkaufvertrag verbundenen Verbraucherdarlehensvertrages nach Widerruf in Anspruch.
Die Klägerin als Darlehensnehmerin schloss - vermittelt durch ein Autohaus - mit der Beklagten als Darlehensgeberin am 27. April 2015 einen Verbraucherdarlehensvertrag mit einer Laufzeit von 54 Monaten über einen Nettodarlehensbetrag in Höhe von 16.911,20 Euro. Das Darlehen diente der Teil-Finanzierung des Kaufs eines privat genutzten Fahrzeugs zu einem Kaufpreis in Höhe von 22.000,- Euro. Den von dem Autohaus zur Verfügung gestellten Vertragsunterlagen war eine Widerrufsinformation beigefügt, wobei wegen der Einzelheiten auf Seite 5 des Darlehensantrages vom 27. April 2015 (Anlage B1) Bezug genommen wird.
Die Beklagte kehrte die Darlehensvaluta an das Autohaus aus. Die Klägerin erbrachte an dieses vereinbarungsgemäß eine Anzahlung in Höhe von 6.500,- Euro und leistete in der Folge die vereinbarten Zins- und Tilgungsleistungen an die Beklagte. Nach Zahlung der Schlussrate im November 2019 übertrug die Beklagte das Sicherungseigentum an dem zu finanzierenden Fahrzeug auf die Klägerin.
Anschließend - am 15. April 2020 - widerrief die Klägerin ihre auf Abschluss des Darlehensvertrages gerichtete Willenserklärung.
Sie vertritt die Ansicht, dass sie bei Abschluss des Darlehensvertrages nicht ordnungsgemäß über ihr Widerrufsrecht unterrichtet worden sei. Betreffend ihre Vorleistungspflicht sei die Beklagte im Annahmeverzug. Die Klägerin habe mehrmals - erstmals in der Widerrufserklärung - der Beklagten das Fahrzeug angeboten, diese habe es aber nicht angenommen.
Die Beklagte vertritt die Ansicht, dass sie die Klägerin im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben über ihr Widerrufsrecht belehrt habe. Jedenfalls sei ein etwaiges Widerrufsrecht der Klägerin verwirkt.
Das Landgericht Braunschweig hat die Entscheidung des Rechtsstreits gemäß § 348a Abs. 1 ZPO durch Beschluss vom 22. Januar 2021 auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.
Mit Beschluss vom 8. Februar 2022 hat der Einzelrichter im Hinblick auf die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 9. September 2021 die Parteien darauf hingewiesen, dass die Kammer erwäge, den Rechtsstreit im Hinblick auf den (Vorlage-)Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 12. Oktober 2021 (6 U 715/19) in analoger Anwendung des § 148 ZPO bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über die Vorlagefragen auszusetzen.
Die Beklagte ist dem mit der Begründung entgegengetreten, dass die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäisch...