Entscheidungsstichwort (Thema)
Flugreisen in Zeiten der Corona-Pandemie als Alltagsangelegenheiten
Leitsatz (amtlich)
1. Die Flugreise eines Kindes nach Mallorca ist in Zeiten der Corona-Pandemie eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung, weil die durch COVID-19 herausgeforderten Schutzmaßnahmen zu weitreichenden Unwägbarkeiten führen, die das seelische Wohl eines Kindes beeinträchtigen können.
2. Für Urlaubsreisen lässt sich die Bedeutung der Angelegenheit einerseits danach beurteilen, welche Vorteile die Durchführung der Reise für die kindliche Entwicklung bietet oder aber danach, welche Nachteile (z.B. Gefahren) für das Kind mit der beabsichtigten Reise verbunden sein könnten. Für letzteres ist ein gewichtiges Indiz, ob Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes vorliegen; andererseits hat die Beurteilung umfassend zu erfolgen, weshalb auch sonstige Umstände mit in die Beurteilung einzubeziehen sind.
3. Eine Übertragung der Entscheidungsbefugnis betreffend eine Teilnahme eines Kindes an einer gebuchten Reise auf einen Elternteil, der mit der von ihm gebuchten Reise ein gerichtlich geregeltes Umgangsrecht des anderen Elternteils nicht respektiert, scheidet aus Gründen des Kindeswohls aus.
Normenkette
BGB § 1628 S. 1, § 1687 Abs. 1 Sätze 2-3, §§ 1696, 1697a; SGB VIII § 1 Abs. 1
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird unter Abänderung der Entscheidung des Amtsgerichts - Familiengericht - S. vom 23.07.2020 im Wege der einstweiligen Anordnung die Befugnis zur Entscheidung über die Frage, ob die gemeinsamen Kinder des Antragstellers und der Antragsgegnerin, H. H., geb. am ... und J. C. H., geb. am ..., von der Antragsgegnerin auf eine Urlaubsreise/Flugreise nach Mallorca in dem Zeitraum vom 1. August 2020 bis 15. August 2020 mitgenommen werden dürfen, dem Antragsteller übertragen.
Die Kosten des Verfahrens beider Instanzen hat die Antragsgegnerin zu tragen.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 1.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Beteiligten streiten über die Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge, respektive über die Teilnahme ihrer gemeinsamen Kinder an einer von der Antragsgegnerin gebuchten Urlaubsreise nach Mallorca.
Die Beteiligten sind getrenntlebende Ehegatten und üben die elterliche Sorge für ihre beiden Kinder gemeinsam aus, die seit der Trennung bei der Antragsgegnerin wohnen. Mit Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - S. (31 F 234/19 UG) ist dort unter Ziffer 1. geregelt, dass der Antragsteller und die Kinder jeden ersten Samstag im Monat von 15:00 Uhr bis 18:00 Uhr Umgang haben.
Mit Anwaltsschreiben vom 07.07.2020 forderte die Antragsgegnerin den Antragsteller unter Hinweis auf die gemeinsame elterliche Sorge zur Zustimmung zu einer von ihr gebuchten Urlaubsflugreise nach Mallorca mit den gemeinsamen Kindern im August 2020 (Samstag, den 01.08.2020 bis 15.08.2020) auf. Die Reise war bereits Monate zuvor von der Antragsgegnerin gebucht worden. Die Beteiligten können sich über eine Teilnahme der Kinder an dieser Flugreise nicht verständigen, weil sie zum einen die Gefahren einer solchen Reise für die Kinder aufgrund der weiterhin bestehenden Risiken durch das Corona-Virus abweichend einordnen. Zum anderen sieht der Antragsteller durch die Reise seinen Umgang mit den Kindern im August beeinträchtigt. Der Antragssteller hat signalisiert, durch einen Verzicht auf den für August 2020 geregelten Umgang der Antragsgegnerin und den Kindern eine Urlaubsreise - "gern auch ins europäische Ausland" - zu ermöglichen, sofern die Antragsgegnerin von der Benutzung des Flugzeuges absieht und hierfür den PKW benutzt.
In einem beim Amtsgericht - Familiengericht - S. am 03.07.2020 abgehaltenen Termin in einem Vermittlungsverfahren, in dem sich die Beteiligten über andere Umgangsmodalitäten verständigen konnten und auch diese Urlaubsreise ohne inhaltliche Einigung diskutiert worden ist, hat die Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin abschließend deutlich gemacht, dass die Antragsgegnerin mit den Kindern nach Mallorca fliegen wird, dies auch in Kenntnis des ausdrücklichen Widerspruchs des Antragstellers.
Mit Schriftsätzen vom 14.07.2020 bzw. 16.07.2020 haben sodann die Beteiligten jeweils beantragt, ihnen die Entscheidungsbefugnis bzgl. dieser Frage zu übertragen. Nachdem das Amtsgericht - Familiengericht - S. am 23.07.2020 das Verfahren mündlich verhandelt, hierzu die Beteiligten sowie die beiden Kinder persönlich angehört hatte, hat es mit Beschluss vom selben Tage die Anträge beider Kindeseltern zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass es sich bei der Entscheidung zur Urlaubsteilnahme der Kinder nicht um eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 1628 Satz 1 BGB handele. Gegen diese Entscheidung, die der Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers am 24.07.2020 zugestellt worden ist, wendet sich dieser mit seiner am selben Tag verfassten und beim Amtsgericht - Familiengericht - S. eingegangenen Beschwerde. Er wiederholt seine erstinstanzlich vertretene Rechtsansicht zu...