Entscheidungsstichwort (Thema)
Judenstern. Ungeimpft-Stern. Volksverhetzung. öffentlicher Frieden. Störungseignung. Facebook. Menschenjagd. Volksverhetzung: Veröffentlichung eines sog. "Judensterns" mit der Aufschrift "nicht geimpft" auf der Internetplattform Facebook
Leitsatz (amtlich)
1. Die Verwendung des "Judensterns" unter Ersetzung des Wortes "Jude" durch die Wörter "nicht geimpft" erfüllt den Tatbestand der Volksverhetzung gem. § 130 Abs. 3 StGB nicht, da die Verpflichtung der Juden zum Tragen des Judensterns, die durch die "Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden" vom 1. September 1941 eingeführt wurde, für sich genommen noch keinen Völkermord im Sinne von § 6 Abs. 1 Nr. 3 VStGB darstellt; die Kennzeichnung einer Gruppe ist juristisch von der "auf körperliche Zerstörung gerichteten lebensgefährlichen Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen" zu trennen.
2. Die bloße Verwendung des "Ungeimpft-Sternes" in einem - ggf. auch öffentlich zugänglichen - Facebook-Profil erfüllt ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht den Tatbestand der Volksverhetzung gem. § 130 Abs. 3 StGB, da es an der Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens fehlt.
Normenkette
StGB § 130 Abs. 3; VStGB § 6 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Amtsgerichts Clausthal-Zellerfeld vom 1. August 2022 wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Clausthal-Zellerfeld hat den Angeklagten mit Urteil vom 1. August 2022 von dem Vorwurf der Volksverhetzung (§ 130 Abs. 3 StGB) freigesprochen.
Das Amtsgericht hat die folgenden Feststellungen getroffen:
"Der Angeklagte postete am 18.11.2020 willentlich auf seinem Facebook-Profil unter dem Nutzernamen .... eine Abbildung mit einem gelbfarbenen sechseckigen Stern mit der Aufschrift "NICHT GEIMPFT" auf hellblauem rechteckigen Hintergrund, der wiederum auf einem schwarzen Hintergrund mit der Überschrift "beginnen" abgebildet war. Der Angeklagte war zuvor über die Internetsuchpräsenz Google auf die dort aufzufindende verfahrensgegenständliche Abbildung, die als Aufdruck für T-Shirts angeboten wurde, aufmerksam geworden und lud sie anschließend als Beitrag auf seinem Facebook-Profil hoch. Der Angeklagte wollte durch den Beitrag auf seinem Facebook-Profil auf sich aufmerksam machen und sich selbst und seine durch die zur Tatzeit geltenden Beschränkungen durch die Landesverordnung zur Eindämmung der Corona-Pandemie geprägte Lebenssituation darstellen, obwohl ihm die Bedeutung des sogenannten "Judensterns" aus dem Geschichtsunterricht bekannt war.
Im Nachgang zur Tat erhielt der Angeklagte ihn anfeindende Reaktionen über die Plattform Facebook, in denen er teilweise auch als "Nazi" betitelt wurde. Der Angeklagte löschte den Beitrag mit dem "Judenstern" kurze Zeit nach seiner verantwortlichen Vernehmung bei der Polizei am 18.08.2021. Im weiteren Verlauf wurde der Facebook-Auftritt des Angeklagten durch die Plattformbetreiber gesperrt."
Das Amtsgericht hat im Rahmen der rechtlichen Würdigung ausgeführt, dass der Angeklagte mit seinem Post fraglos eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung, "namentlich die mit der durch das nationalsozialistische Unrechtsregime erzwungenen Pflicht der jüdischen Bevölkerung zum Tragen des sogenannten "Judensterns" einhergehende Ausgrenzung und Stigmatisierung" verharmlost habe, indem er die etwaige Ausgrenzung der nicht geimpften Bevölkerung mit der Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung in der NS-Zeit auf der Grundlage der Polizeiverordnung vom 1. September 1941 gleichgesetzt habe. Nach der vom Amtsgericht genannten Polizeiverordnung vom 1. September 1941 war es Juden in der Öffentlichkeit verboten, sich ohne einen Judenstern zu zeigen.
Es sei auch - so das Amtsgericht weiter - unstreitig, dass die Pflicht zum Tragen des Judensterns der Identifizierung der von der nationalsozialistischen Unrechtsherrschaft deportierten und getöteten Juden gedient habe.
Allerdings setze § 130 Abs. 3 StGB nicht nur die Verharmlosung einer unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Handlung voraus. Es müsse vielmehr eine Handlung der in § 6 des Völkerstrafgesetzbuchs (nachfolgend: VStGB) bezeichneten Art verharmlost werden. Die zeitlich und räumlich der Deportation und Vernichtung vorausgehende Ausgrenzung und Stigmatisierung der jüdischen Bevölkerung sei schlicht nicht vom Wortlaut des § 130 Abs. 3 StGB erfasst. Es bestehe hinsichtlich des Unrechtsgehalts zudem ein Unterschied zwischen der mit dem Judenstern verbundenen Ausgrenzung und Stigmatisierung und der späteren Deportation und Vernichtung, also der physischen Gewalthandlung, die unter ...