Entscheidungsstichwort (Thema)
Judenstern. Ungeimpft. Völkermord. Holocaust. Polizeiverordnung. Verharmlosung
Leitsatz (amtlich)
Es ist im Wege der Auslegung durch den Tatrichter festzustellen, ob sich die Verwendung eines sog. Judensterns mit der Aufschrift "Ungeimpft" in sozialen Medien über die Gleichstellung der für Ungeimpfte mit den Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie einhergehenden Einschränkungen mit den durch die nationalsozialistische "Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden" vom 1. September 1941 verbundenen Beschränkungen hinaus auch als Verharmlosung des unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Völkermordes i.S.d. § 6 VStGB darstellt.
Normenkette
StGB § 130; VStGB § 6
Verfahrensgang
LG Osnabrück (Entscheidung vom 02.11.2022; Aktenzeichen 5 Ns 131/22) |
Tenor
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil der 5. kleinen Strafkammer des Landgerichts Osnabrück vom 2. November 2022 wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Gründe
Das Amtsgericht Lingen hatte den Angeklagten mit Urteil vom 2. Mai 2022 wegen Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 3 StGB zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 20 Euro verurteilt. Dieses Urteil hat das Landgericht Osnabrück - 5. kleine Strafkammer - auf die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten am 2. November 2022 aufgehoben und den Angeklagten freigesprochen.
Hiergegen richtet sich die auf die ausgeführte Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft.
Das zulässige Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
1.
Nach den in tatsächlicher Hinsicht mit dem rechtzeitig angefochtenen Strafbefehl des Amtsgerichts Lingen vom 7. Januar 2022 übereinstimmenden Feststellungen des Landgerichts hatte der Angeklagte am TT.MM.2021 im Diskussionsforum auf der öffentlich zugänglichen Facebook-Seite des Tierparks Ort1 das folgende Posting platziert (Fehler des Originaltextes wurden beibehalten):
Wann kommt der neue Stern, das ist doch viel einfacher wenn sich die Ungeimpften zu erkennen geben, dann brauch die Masse nicht immer Beweisen das sie es getan haben oder schon mal Krank waren. Wäre doch viel einfacher für alle 2G Veranstaltungen. Denkt mal drüber nach! Sarkasmus ENDE
Unterhalb seines Postings platzierte der Angeklagte eine - im Urteil des Landgerichts bildlich wiedergegebene - Abbildung, die einen sogenannten Judenstern zeigt, in welchem die Inschrift "Jude" in gleicher Schriftart durch das Wort "Ungeimpft" ersetzt worden ist.
Nach den weiteren Feststellungen des Landgerichts hatte der Angeklagte sich geweigert, eine Impfung gegen COVID-19 durchführen zu lassen. Im Jahr 2021 war er deshalb in seinen sozialen Aktivitäten erheblich eingeschränkt, weil der Zutritt zu vielen Veranstaltungen und Institutionen durch sog. 2-G-Regeln eingeschränkt war.
Am TT.MM.2021 führte der Tierpark Ort1 einen sog. Zootag durch, den er u.a. auf seiner öffentlich zugänglichen Facebookseite bewarb. Für den Zootag galt - auch das wurde öffentlich kommuniziert - die sog. 2-G-Regel, so dass nur geimpfte oder genesene Personen Zugang hatten; der Impf- oder Genesenenstatus musste durch entsprechende Dokumente nachgewiesen werden.
Der Angeklagte als Inhaber einer Dauerkarte des Tierparks Ort1 und regelmäßiger Zoobesucher nahm über die Facebookseite des Tierparks Ort1 von dieser Regelung Kenntnis und echauffierte sich darüber, dass er als "Ungeimpfter" von dieser Veranstaltung ausgeschlossen sein würde. Gesinnungsgenossen des Angeklagten aus der Impfgegnerszene hatten postwendend auf der Facebookseite eine Diskussion eröffnet, in der sie sich - wie auch der Angeklagte - über die vermeintlich ungerechte 2-G-Regel ausließen, diese beklagten und ihrem Unmut durch diverse Postings Luft machten. So fühlte sich der Angeklagte am TT.MM.2021 motiviert, mit dem dargestellten Posting auch seinen eigenen Beitrag zu dieser Debatte zu leisten.
Mit diesem Posting wollte der Angeklagte gegen die 2-G-Eintrittsregeln des Tierparks protestieren, die er als ungerechtfertigte Einschränkung des Soziallebens von Impfgegnern empfand. Im Rahmen des Facebook-Diskussionsforums auf der Facebookseite des Tierparks befanden sich ca. 60 Einträge, unter ihnen auch derjenige des Angeklagten.
Der Angeklagte war sich bei Verwendung insbesondere der wiedergegebenen Abbildung des Umstands bewusst, dass der "Ungeimpft"-Stern dem sog. Judenstern nachgebildet ist. Diesen hätten die Machthaber während der Herrschaft des Nationalsozialismus im September 1941 als öffentliches Zwangskennzeichen für Personen eingeführt, die nach den Nürnberger Gesetzen von 1935 als Juden galten. Der Judenstern habe der Stigmatisierung der betroffenen Personen gedient und es den Machthabern und ihren zahlreichen Unterstützern und Handlangern erleichtern sollen, seine Träger leichter für die nunmehr zusehends einsetzenden planmäßigen Deportationen in Ghettos, Konzentrationslager und Vernichtungslager zu identifizieren. Das Abzeichen ha...