Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung des vermögenssorgenden Berufsbetreuers wegen pflichtwidrigen Umgangs mit Vergleichszahlungen und Schmerzensgeld
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Berufsbetreuerin mit dem Aufgabenkreis der Vermögenssorge macht sich gegenüber der Betreuten schadensersatzpflichtig, wenn sie bei der Beantragung von Sozialhilfeleistungen für die Betreute die aus einem vorangegangenen Verkehrsunfallprozess erhaltene Vergleichssumme voll-ständig für Behandlungs- und Pflegekosten der Betreuten ausgibt, den Er-halt der Vergleichssumme der Sozialbehörde im Leistungsantragsverfahren nicht mitteilt und, nachdem dieser Umstand dort anderweitig bekannt geworden ist, der Sozialbehörde keine Information darüber gibt, wie hinsichtlich materieller Schäden einerseits und des immateriellen Schadens andererseits, dessen Kompensierungsanteil sozialleistungsrechtlich berücksichtigungsfrei geblieben wäre, sich der Vergleichsbetrag zusammensetzt.
2. Versagt die Sozialbehörde sodann zu Recht wegen voller Berücksichtigung des Vergleichsbetrages die Leistung, so besteht der von der Betreuerin zu ersetzende Schaden in dem Wert des auf den Schmerzensgeldanspruch entfallenden Anteils, der durch den pauschalen Vergleichsbetrag mitabgegolten wurde und der sozialleistungsrechtlich berücksichtigungsfrei geblieben wäre; fehlen für diesen Anteil weitere Anhaltspunkte, ist er gem. § 287 ZPO entsprechend dem prozentualen Anteil des im vorangegangenen Verkehrsunfallprozess, der mit dem Vergleich endete, geltend gemachten Schmerzensgeldanspruchs an dem Streitwert des Verkehrsunfallprozesses zu berechnen.
Normenkette
BGB §§ 249, 1833 Abs. 1 S. 1, § 1908i Abs. 1 S. 1; ZPO § 287
Verfahrensgang
LG Braunschweig (Urteil vom 21.10.2015; Aktenzeichen 1 O 3050/12) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 21. Oktober 2015 - 1 O 3050/12 - teilweise abgeändert und
die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 238.000,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 9.3.2013 zu zahlen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Von den Kosten der ersten Instanz haben die Klägerin 33,5 % und die Beklagte 66,5 % zu tragen.
Von den Kosten des Berufungsrechtszuges haben die Klägerin
32,0 % und die Beklagte 68,0 % zu tragen.
Dieses Urteil und das vorbezeichnete Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 21. Oktober 2015 sind vorläufig vollstreckbar. Die Parteien dürfen die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor Vollstreckung eine Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages leistet.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 350.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerin nimmt die Beklagte als ehemalige Betreuerin auf Schadensersatz wegen behaupteter zweckwidriger Verwendung einer Zahlung aus einem Vergleich vor dem Oberlandesgericht Celle vom 22.6.2009 in Höhe von 350.000,00 EUR in Anspruch.
Die Klägerin kam im November 2006 als Au-Pair nach Deutschland. Ihre Gasteltern in Wi. schlossen für sie u. a. eine private Krankenversicherung ab. Seit einem kurz darauf am 13.1.2007 erlittenen Verkehrsunfall liegt die Klägerin mit u. a. schwersten Hirnverletzungen im Koma. Sie wurde in verschiedenen Kliniken behandelt. Als ihre Betreuerin war vom 30.1.2007 bis zum 29.10.2011 die Beklagte gerichtlich bestellt. Die Beklagte erwirkte für die Klägerin im Prozess gegen den Unfallgegner und dessen Kraftfahrthaftpflichtversicherung erstinstanzlich eine Verurteilung zu Schmerzensgeld und - mit der üblichen Ausnahme der auf Sozialversicherungsträger übergegangenen Ansprüche - einen materiellen Feststellungsvorbehalt. Beide Ansprüche sprach das Landgericht Hildesheim aber nur auf Basis einer Haftungsquote von lediglich 20% zu. Dagegen ließ die die Beklagte für die Klägerin Berufung einlegen mit dem Ziel einer entsprechenden Verurteilung auf Basis eines gegnerischen Haftungsanteils von 80%. An der zweitinstanzlichen Mediationverhandlung vor dem Oberlandesgericht Celle (5 U 26/09) nahmen am 22.6.2009 die nunmehrige Beklagte als damalige Betreuerin und die damaligen Prozessbevollmächtigten der dortigen Parteien teil. Durch den dabei geschlossenen Vergleich wurde der Unfallhaftpflichtprozess endgültig beendet. Vereinbart wurde neben den bereits geleisteten 41.500,00 EUR eine Zahlung der dortigen Beklagten an die Klägerin vom 350.000,00 EUR.
Die entsprechend geleisteten Zahlungen verwendete die Beklagte vollständig für jeweils fällige Behandlungs- und Unterbringungskosten der Klägerin. Die Beklagte beantragte jeweils im Frühjahr 2007 und 2008 beim Landkreis Gifhorn als zuständigem Sozialleistungsträger die Übernahme der Behandlungskosten, zuletzt wegen des Auslaufens der Krankenversicherung. Der Landkreis lehnte das unter Hinweis auf angebliche Nachrangigkeit nach der erhaltenen Vergleichszahlung ab. Dagegen legte die Beklagte keinen Widers...