Entscheidungsstichwort (Thema)
Kausalität zwischen unterlassener Alarmierung und eingetretenem Schaden im Rahmen eines Notrufdienstvertrages
Leitsatz (amtlich)
1. Die im Rahmen eines Notrufdienstleistungsvertrages begründete Pflicht des Bewachungsunternehmens, die Polizei über die Wegnahme einer Geldkassette aus einem Geldautomaten zu benachrichtigen, dient nicht nur dem Zweck, den Diebstahl der Geldkassette zu verhindern, sondern auch den bereits begonnenen Einbruchsdiebstahl zu entdecken und die Täter zu verfolgen und zu ergreifen.
2. Die Beweislastumkehr gemäß § 280 Abs. 1 S. 2 BGB analog greift nicht zugunsten des Vertragspartners des Bewachungsunternehmens ein, wenn durch die Alarmanlage nicht der Zugang zum Geldautomaten verhindert, sondern die Polizei nur über die stattgefundene Wegnahme des Gelds informiert werden soll.
3. Gelingt es dem Vertragspartner des Bewachungsunternehmens zu beweisen, dass die Einsatzkräfte der Polizei durch das Unterbleiben der Alarmierung am Erreichen des Tatortes zu der Zeit gehindert wurden, zu der sich die Täter mit der Beute noch vor Ort befanden und hätten ergriffen werden können, so streitet der Anscheinsbeweis dafür, dass die rechtzeitige Verfolgung und Ergreifung der Täter samt Beute erfolgt wäre.
Normenkette
BGB § 280 Abs. 1 S. 2, § 611; VVG § 86
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 13.09.2018 - Az.: 8 O 250/17 -, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 79.495,- EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.12.2017 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird weiter verurteilt, die Klägerin von den Kosten der Inanspruchnahme der Rechtsanwälte H. & Collegen in Höhe von 1.752,90 EUR freizustellen.
3. Die weitere Klage wird abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen trägt die Klägerin 17 % und die Beklagte 83 %.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem jeweiligen Vollstreckungsschuldner wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen sich durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
VI. Der Wert des Streitgegenstandes im Berufungsrechtszug wird auf die Wertstufe bis 110.000,- EUR festgesetzt.
Gründe
A. Die Klägerin macht Schadensersatz aus übergegangenem Recht wegen einer Pflichtverletzung aus einem Notrufdienstleistungsvertrag geltend.
Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes und der Anträge erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (LGU Seiten 2 - 5, Bl. 57 ff. d. A.) Bezug genommen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und ausgeführt, dass der Klägerin gegen die Beklagte kein Schadensersatzanspruch aus § 86 VVG i. V. m. §§ 280 Abs. 1, 611 BGB zustehe. Der Beklagten sei zwar eine Pflichtverletzung des zwischen ihr und der V.-Bank bestehenden Notrufdienstleistungsvertrages zur Last zu legen, da sie es unterlassen habe, die Polizei nach der um 03:48 Uhr empfangenen Meldung zu alarmieren. Allerdings habe es die Kammer nicht vermocht, mit der nach § 286 ZPO gebotenen Überzeugung festzustellen, dass der der Klägerin entstandene Schaden adäquat kausal auf der Pflichtverletzung der Beklagten beruht habe. Es stehe nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Polizei nach Weiterleitung der um 03:48 Uhr abgesetzten Alarmmeldung die Täter auf frischer Tat ertappt und daran hätte hindern können, mit der Beute zu fliehen. Dabei seien die Schäden an dem Gebäude und der Inneneinrichtung außer Betracht zu lassen, weil sie zum Großteil bereits im Zuge des Einbruchs und damit zwingend zeitlich vor dem Absetzen der Alarmmeldung durch den Geldautomaten entstanden seien und auch nicht durch ein zeitnahes Eintreffen der Einsatzkräfte der Polizei hätten verhindert werden können. Im Hinblick auf das gestohlene Bargeld bestehe zwar eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Annahme, dass die Polizei bei einer Weiterleitung der Alarmmeldung von 03:48 Uhr noch rechtzeitig am Tatort eingetroffen wäre und die Täter angetroffen hätte. Dafür spreche auch der Umstand, dass die Polizei bei ihrer (späteren) Alarmierung durch den Lkw-Fahrer nur 5 Minuten gebraucht habe, um zum Tatort zu gelangen. Diese Wahrscheinlichkeitsbetrachtung stelle aber keine mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeitsprognose dar. Man müsse die offenkundige Professionalität der Täter berücksichtigen, die innerhalb weniger Augenblicke vom Tatort hätten fliehen können. Auch bestehe eine nicht unerhebliche Wahrscheinlichkeit für die Annahme, dass die Täter es bei einer früheren Alarmierung der Polizei hätten schaffen können, mit einem Teil bzw. mit dem gesamten entwendeten Bargeldbestand zu entkommen. Auch sei nicht auszuschließen, das...