Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Schadensersatz wegen Verletzung von Amts- oder Verkehrssicherungspflichten bei Rückstauschäden durch Wurzeleinwuchs bei fehlender Rückstausicherung
Leitsatz (amtlich)
1. Verpflichtet die gemeindliche Satzung die Grundstückseigentümer, Vorkehrungen gegen einen Abwasserrückstau zu treffen, sind auch Rückstauschäden, die auf die Verwurzelung eines Regenwasserkanalrohrs zurückzuführen sind, nicht vom Schutzzweck der Amtspflicht der Gemeinde zur Verhinderung solcher Verstopfungen umfasst, wenn die Grundstückseigentümerin keine Vorkehrungen gegen einen Rückstau ergriffen hat und ein solcher Rückstau beim Einbau einer Rückstausicherung vermieden worden wäre.
2. Die Gemeinde haftet auch nicht wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht gem. § 823 Abs. 1 BGB, wenn die Grundstückseigentümerin durch die gemeindliche Satzung gehalten ist, sich gegen Rückstauschäden zu sichern und es zu einem Rückstauschaden durch den Wurzeleinwuchs eines auf einem kommunalen Grundstück wachsenden Baums in die Regenwasserkanalisation kommt, der bei Einbau einer solchen Rückstausicherung vermieden worden wäre (entgegen OLG Nürnberg, Urteil vom 25.07.2007 - Az.: 4 U 67/07).
3. Der Eigentümer eines mit Bäumen bewachsenen Grundstücks ist ohne konkrete Anhaltspunkte nicht verpflichtet, zu untersuchen, ob die Wurzeln der auf seinem Grundstück wachsenden Bäume in die Kanalisation eingedrungen sind oder einzudringen drohen.
Normenkette
GG Art. 34; BGB § 823 Abs. 1, §§ 839, 906 Abs. 2 S. 2; HaftpflG § 2 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des LG Braunschweig vom 08.04.2016 teilweise abgeändert und die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz trägt die Klägerin.
Das Urteil des LG Braunschweig vom 08.04.2016, soweit es aufrechterhalten bleibt, und dieses Urteil sind für die Beklagte ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des jeweiligen Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 15.315,06 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Ersatz eines ihr infolge eines Rückstaus in der Regenwasserkanalisation entstandenen Schadens in Anspruch.
Die Klägerin ist Eigentümerin eines Hauses auf dem Grundstück B.-ring 57 in K.. Das Hausgrundstück ist an die städtische Schmutz- und Regenwasserkanalisation angeschlossen.
Nach der Abwassersatzung der Beklagten ist der Grundstückseigentümer verpflichtet, sich selbst gegen den Rückstau des Abwassers aus den öffentlichen Abwasseranlagen zu schützen.
Das Hausgrundstück der Klägerin verfügt unstreitig über keine Rückstausicherung für den Regenwasserkanalanschluss.
Durch Einwüchse von Wurzeln eines Kastanienbaums kam es zu einer starken Einschränkung der hydraulischen Leistungsfähigkeit des Regenwasserkanals der Beklagten.
Der Kastanienbaum befindet sich auf dem im Eigentum der Beklagten stehenden und an das Grundstück der Klägerin angrenzenden Wendeplatz.
In der Nacht vom 05.07.2012 auf den 06.07.2012 traten starke Regenfälle auf, die die Regenwasserkanalisation infolge ihrer eingeschränkten hydraulischen Leistungsfähigkeit nicht mehr aufnehmen und ableiten konnte. Als Folge kam es zu einem Rückstau in der öffentlichen Regenwasserkanalisation und in der Kanalisation der Klägerin. Durch diesen Rückstau trat Wasser aus dem Bodenlauf der Außentreppe zum Keller aus und der Keller der Klägerin wurde überflutet.
Mit der vorliegenden Klage nimmt die Klägerin die Beklagte auf Ersatz der ihr angeblich durch den Rückstau entstandenen Schäden in Anspruch.
Das LG Braunschweig hat die Beklagte mit Urteil vom 08.04.2016 (Bl. 389 ff. d.A.) verurteilt, an die Klägerin 15.315,06 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 10.08.2012 zu zahlen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Hinsichtlich des weiteren Sachverhalts wird auf die Ausführungen im landgerichtlichen Urteil Bezug genommen.
Das LG hat ausgeführt, dass die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 15.315,06 EUR aus § 823 Abs. 1 BGB wegen Verletzung der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht eines Grundstückseigentümers habe.
Die Beklagte sei Grundstückseigentümerin der Fläche, auf dem sich die Kastanie befinde, deren Wurzeln den Niederschlagsanschlusskanal unstreitig so verstopft hätten, dass die hydraulische Leistungsfähigkeit eingeschränkt gewesen und der streitgegenständliche Rückstau entstanden sei. Die Beklagte sei daher wie jeder Grundstückseigentümer verpflichtet, diejenigen Vorkehrungen zu treffen, ...