Entscheidungsstichwort (Thema)
Bemessung der Tagessatzhöhe bei Empfängern von Leistungen nach dem SGB II
Leitsatz (amtlich)
Bei der Bemessung der Tagessatzhöhe ist in der Regel vom Nettoeinkommen auszugehen (Nettoeinkommensprinzip); etwaige Abweichungen vom Nettoeinkommensprinzip sind in einer einzelfallorientierten Erörterung der Gesamtbelastung eines Angeklagten (Vermögen, Verbindlichkeiten etc.) nachvollziehbar zu begründen.
Bei Empfängern von Leistungen nach dem SGB II besteht zwar Anlass, eine Herabsetzung der Tagessatzhöhe sorgsam zu prüfen. Allein der Bezug solcher Leistungen ersetzt die für eine Herabsetzung der Tagessatzhöhe erforderliche Erörterung der Gesamtbelastung indes nicht.
Normenkette
StGB § 40; SGB II §§ 20, 22
Verfahrensgang
LG Braunschweig (Entscheidung vom 17.02.2015) |
Tenor
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 17. Februar 2015 im Ausspruch über die Höhe des Tagessatzes mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Braunschweig zurückverwiesen.
Gründe
I.
Der Angeklagte ist durch das Urteil des Amtsgerichts Braunschweig vom 8. Januar 2015 wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln mit einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 10 € belegt worden. Durch das angefochtene Urteil vom 17. Februar 2015 hat das Landgericht Braunschweig die Berufung der Staatsanwaltschaft, die ihr Rechtsmittel zuvor auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hatte und damit die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe erreichen wollte, mit der Maßgabe verworfen, dass der Angeklagte zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 12,- € verurteilt worden ist.
In den Urteilsgründen hat das Landgericht festgestellt, dass der Angeklagte geschieden sei, keine Kinder habe und an Kehlkopfkrebs leide. Der Angeklagte habe - so die weiteren Feststellungen - den Beruf des Dachdeckers erlernt, sei jedoch derzeit arbeitslos und beziehe Leistungen nach dem SGB II. Für seinen Lebensunterhalt erhalte er monatlich 392,- €. Außerdem übernehme der Sozialleistungsträger die Kosten für die Unterkunft in Höhe von 250 € monatlich und Heizkosten in Höhe von 90 € monatlich. Insgesamt erhalte der Angeklagte staatliche Zuwendungen von 732 € pro Monat. Die Tagessatzhöhe sei vor diesem Hintergrund auf 12,- € festzusetzen. Bei der Bemessung des Nettoeinkommens seien zwar grundsätzlich neben dem Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts auch die Kosten für Unterkunft und Heizung einzubeziehen. Die Kammer habe die Höhe des Tagessatzes im konkreten Fall jedoch abgesenkt, weil nahe am Existenzminimum Lebende durch das Nettoeinkommensprinzip "systembedingt härter getroffen werden als Normalverdienende". Eine weitere Begründung zur Absenkung der Tagessatzhöhe enthält das Urteil nicht.
Die Staatsanwaltschaft hat am 17. Februar 2015 Revision eingelegt und diese nach Zustellung des Urteils (am 23. Februar 2015) am 18 März 2015 (Eingang bei Gericht) mit der Verletzung materiellen Rechts begründet. In ihrer Stellungnahme vom 27. April 2015 hat die Generalstaatsanwaltschaft die Revision auf den Ausspruch über die Höhe des einzelnen Tagessatzes beschränkt und das weitergehende Rechtsmittel zurückgenommen. Die Höhe des Tagessatzes sei zu beanstanden, weil die Kammer die vom Nettoeinkommensprinzip abweichende Herabsenkung des Tagessatzes rechtsfehlerhaft allein mit dem Bezug von Leistungen nach dem SGB II begründet habe.
Der Angeklagte beantragt, die Revision als unbegründet zu verwerfen. Er verteidigt das angefochtene Urteil und verweist auf seine beengten Vermögensverhältnisse.
II.
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist statthaft und auch sonst zulässig; sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg und führt zur Aufhebung des Ausspruchs über die Tagessatzhöhe.
Nach wirksamer Beschränkung der Revision ist vom Senat nur die Frage der Tagessatzhöhe zu prüfen (§ 352 StPO). Die Bemessung der Höhe eines Tagessatzes ist ein abgrenzbarer Beschwerdepunkt, der in der Regel - so auch hier - losgelöst vom übrigen Urteilsinhalt geprüft werden kann (BGH, Beschluss vom 3.11.1976, 1 StR 319/76, juris, Rn. 2, BGH, Urteil vom 10.01.1989, 1 StR 682/88 = NStZ 1989, 178; OLG Braunschweig, Beschluss vom 19.05.2014, 1 Ss 18/14, juris, Rn. 5 = NdsRpfl 2014, 258; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 40 Rn. 26).
Die konkrete Festsetzung der Tagessatzhöhe auf 12,- € begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Zwar obliegt die Bemessung der konkreten Tagessatzhöhe (§ 40 Abs. 2 S. 1 StGB) als Akt der Strafzumessung grundsätzlich der Entscheidung des Tatrichters, die das Revisionsgericht bis zur Grenze des Vertretbaren hinzunehmen hat (BGHSt 27, 212, 215; BGHSt 27, 228, 230). Das angefochtene Urteil überschreitet indes diese Grenze, weil bei der Bemessung der Tagessatzhöhe "in der Regel" vom Nettoeinkommen auszu...