Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorsorgevollmacht und Rechnungslegungspflicht eines Sohnes

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das eine Rechnungslegungspflicht auslösende Auftragsverhältnis kann nicht schon aus einer bloßen Bevollmächtigung also solcher abgeleitet werden. Sie betrifft regelmäßig nur das rechtliche Dürfen nach außen. Erforderlich ist die Einigung darüber, dass jemand für einen anderen in dessen Angelegenheiten tätig wird und pflichtgemäß tätig werden muss.

2. Der Grundsatz, wonach Ehegatten regelmäßig kein Auftragsverhältnis untereinander begründen, gilt wegen des die Ehe prägenden besonderen Vertrauensverhältnisses nicht pauschal für andere Angehörigenbeziehungen. Daraus folgt für das Verhältnis der Mutter zu dem von ihr bevollmächtigten Sohn indes auch nicht umgekehrt bereits "automatisch" ein Auftragsverhältnis (nebst Rechnungslegungspflicht). Entscheidend sind vielmehr alle Umstände des Einzelfalles.

3. Einigt sich eine Mutter mit ihrem erwachsenen, mit ihr nicht im selben Haushalt lebenden Sohn darauf, dass, falls sie irgendwann durch Krankheit oder Behinderung vorübergehend oder dauerhaft selbst nicht mehr dazu in der Lage sein sollte, ihre rechtlichen Angelegenheiten zu regeln und ihren Willen zu äußern, der Sohn sich um die Regelung ihrer rechtlichen Angelegenheiten kümmern soll, und wird ihm im Zusammenhang mit dieser Einigung von der Mutter eine ausdrücklich nur unter denselben Voraussetzungen geltende Vorsorgevollmacht erteilt, ist regelmäßig von einem zum Eintritt der entsprechenden Hilfsbedürftigkeit der Mutter wirksam werdenden Auftragsverhältnis auszugehen; ein solches Auftragsverhältnis verpflichtet den Sohn in der Regel dann auch zur Rechnungslegung.

4. Soweit ein auf die Erben einer Vollmachtgeberin übergegangener Rechnungslegungsanspruch nicht besteht, lässt das etwaige Auskunfts- und Zahlungsansprüche der Erbengemeinschaft gegen den Bevollmächtigten unberührt.

 

Normenkette

BGB § 158 Abs. 1, §§ 167, 662, 666, 1896 Abs. 2 S. 2, §§ 1922, 2027, 2038 Abs. 1 S. 1, § 2039; JVEG § 20; ZPO §§ 254, 511 Abs. 2 Nr. 1

 

Verfahrensgang

LG Braunschweig (Urteil vom 03.03.2020; Aktenzeichen 6 O 1898/19)

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Teilurteil des Landgerichts Braunschweig vom 3.3.2020 - 6 O 1898/19 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der Beklagte wird verurteilt, gegenüber der Erbengemeinschaft nach Frau E. S., verstorben am 31.12.2018, bestehend aus der Klägerin, dem Beklagten und Herrn D. S., Rechnung zu legen durch Vorlage einer nach Einnahmen und Ausgaben geordneten Übersicht sämtlicher von ihm aufgrund der Vorsorgevollmacht vom 25.10.2007 in der Zeit ab 12.12.2014 bis zum 31.3.2017 getätigten Verfügungen über das Vermögen von Frau E. S., sowie alle dazu erforderlichen Belege vorzulegen.

Im Übrigen wird die Rechnungslegungsklage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen haben der Beklagte 1/4 und die Klägerin × zu tragen.

Dieses und das vorbezeichnete Urteil des Landgerichts Braunschweig, soweit dieses aufrechterhalten worden ist, sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf die Wertstufe bis 1.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Parteien sind Geschwister. Zwischen ihnen und ihrem Neffen D. S., dem Sohn ihres Bruders G. S., besteht eine Erbengemeinschaft nach der am 31.12.2018 verstorbenen Mutter bzw. Großmutter, Frau E. S.

Die Klägerin hat Stufenklage gegen den Beklagten erhoben. In der ersten Stufe, in der sich das Verfahren befindet und über die das Landgericht durch das angefochtene Teilurteil entschieden hat, geht es allein darum, ob der Beklagte der Erbengemeinschaft Rechnung legen muss. Dem entsprechenden Antrag der Klägerin hat das Landgericht weitestgehend entsprochen und den Beklagten zur Rechnungslegung verurteilt. Diese erstinstanzliche Verurteilung bezieht sich auf die Zeit ab der dem Beklagten von der Erblasserin "für den Fall, dass" sie "auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung vorübergehend oder dauerhaft nicht mehr in der Lage sein sollte," ihre "rechtlichen Angelegenheiten selbst zu regeln und" ihren "Willen zu äußern" erteilten "Vorsorgevollmacht (gilt erst bei Entscheidungsunfähigkeit)" vom 25.10.2007 bis einschließlich zum 31.3.2017. Den von der Klägerin über dieses Enddatum hinausgehend geltend gemachte Rechnungslegung hat das Landgericht nicht zuerkannt, weil ab 1.4.2017 das Betreuungsgericht der Erblasserin eine Kontrollbetreuerin zur Seite gestellt habe. Insoweit ist das Teilurteil rechtskräftig.

Gegen die Verurteilung zur Rechnungslegung hat der Beklagte Berufung eingelegt. Er meint, er sei für die Erblasserin nur aufgrund seines persönlichen Verhältnisses in Geldangelegenheiten tätig geworden. Deshalb brauche er keine Rechnung zu legen. Jedenfalls sei es treuwidrig, dies von ihm zu verlangen.

Der Beklagten beantragt,

das Teilurteil des Landgerichts teilweise abzuändern und die...

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