Entscheidungsstichwort (Thema)
Unterhalt: Verwirkung. Nachehelicher Unterhalt: Fortsetzung der Unterhaltszahlungen trotz Kenntnis des Verwirkungsgrundes
Leitsatz (amtlich)
Zahlt ein Ehegatte trotz Kenntnis eines Verwirkungsgrundes über einen längeren Zeitraum nachehelichen Unterhalt, ohne sich auf die Verwirkung zu berufen, kann er mit dem nachträglich erhobenen Verwirkungseinwand ausgeschlossen sein, weil seine (weitere) Inanspruchnahme auf Unterhalt nicht grob unbillig ist.
Das OLG Bremen hatte sich mit der Frage zu befassen, ob die Herabsetzung nachehelichen Unterhalts geboten ist, wenn dem Unterhaltsberechtigten ein schwerwiegendes Fehlverhalten vorzuwerfen ist (hier: Mitwirkung der unterhaltsberechtigten geschiedenen Ehefrau an einer Veröffentlichung in der Bild-Zeitung, in der der unterhaltsverpflichtete geschiedene Ehemann u.a. unter Abbildung eines Fotos als "Herzlos-Vater" bezeichnet wird). Das Gericht hat im konkreten Fall zwar die Voraussetzungen des § 1579 Nr. 7 BGB bejaht, hat den Verwirkungseinwand aber als ausgeschlossen angesehen, weil der Unterhaltsberechtigte in Kenntnis des Verwirkungsgrundes über 1 ¾ Jahr den vereinbarten nachehelichen Unterhalt vorbehaltslos gezahlt hat.
Normenkette
BGB § 1579 Nr. 7
Verfahrensgang
AG Bremen (Aktenzeichen 68 F 1580/09) |
Tenor
Der Beklagten wird für die beabsichtigte Berufung ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin A. beigeordnet.
Der Antrag der Beklagten auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die beabsichtigten Anträge (Haupt- und Hilfsantrag) auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird zurückgewiesen.
Gründe
I. Die Parteien sind geschiedene Eheleute. Sie haben drei gemeinsame Kinder im Alter von 17 ½, 14 ¼ und 11 ½ Jahren, die bei der Beklagten leben. Im Rahmen des Scheidungsverfahrens schlossen die Parteien am 14.12.2006 vor dem AG - Familiengericht - Bremen (Gesch.-Nr. 65 F 1090/04) einen Vergleich, in dem sich der Kläger u.a. verpflichtete, an die Beklagte ab 1.6.2008 bis einschl. März 2012 nachehelichen Unterhalt i.H.v. 470 EUR monatlich zu zahlen. Der Unterhaltsberechnung wurde ein Gesamteinkommen des Klägers von 3.054,17 EUR (2.326,65 EUR netto Erwerbseinkommen zzgl. 727 EUR Rente) abzgl. Unterhaltszahlungen für die Kinder von insgesamt 1.258 EUR monatlich zugrunde gelegt sowie ein fiktives monatliches Nettoeinkommen der Beklagten i.H.v. 700 EUR.
Am 14.7.2007 veröffentlichte die Bild-Zeitung einen Artikel mit einem großformatigen Foto, das die Beklagte mit den gemeinsamen Kindern zeigt, und mit der Überschrift "Papa, bitte melde Dich". Neben der Überschrift wurde ein Portraitfoto vom Kläger mit der Unterschrift "Herzlos-Vater" und dem Vor- und Nachnamen des Klägers veröffentlicht. Auf einem weiteren Foto ist zu sehen, wie der Kläger einen Bollerwagen mit darin sitzenden Kindern zieht. In diesem Artikel wurde berichtet, dass der Kläger den Kontakt zu seinen Kindern abgebrochen habe und dass diese darunter litten.
Der Beklagte hat mit dem am 7.5.2009 beim Familiengericht eingegangenen Schriftsatz Abänderungsklage erhoben mit dem Ziel, dass er ab 1.3.2009 an die Beklagte keinen Unterhalt mehr zu zahlen hat. Er hat u.a. geltend gemacht, dass die Beklagte ihren Unterhaltsanspruch wegen Mitwirkung an der Presseveröffentlichung verwirkt habe.
Das AG hat durch Urteil vom 20.10.2009 der Abänderungsklage insoweit stattgegeben, als es den titulierten Unterhalt nach § 1579 Nr. 7 BGB um die Hälfte, mithin auf 235 EUR reduziert hat.
Die Beklagte beabsichtigt, hiergegen Berufung einzulegen, und begehrt hierfür Prozesskostenhilfe.
II.1. Der Beklagten ist Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Berufung zu bewilligen, weil diese hinreichende Aussicht auf Erfolg verspricht (§ 114 ZPO).
a) Der Senat folgt der Auffassung des AG nicht, wonach eine Herabsetzung des in dem Vergleich titulierten Unterhalts nach § 1579 Nr. 7 BGB geboten sei, obgleich dem AG darin zuzustimmen ist, dass der Beklagten ein Fehlverhalten i.S.d. § 1579 Nr. 7 BGB vorzuwerfen ist. Die Beklagte hat die auch nach der Scheidung geltenden Gebote der wechselseitigen Rücksichtnahme und des fairen Umgangs miteinander verletzt und somit die Pflicht zur nachehelichen Solidarität missachtet, indem sie sich an die Bild-Zeitung gewandt und den Reportern Fotos vom Kläger überlassen hat, obgleich ihr die Art und Weise der Berichterstattung des Blattes bekannt war, wie sie selbst einräumt. Die Beklagte hat somit (zumindest) in Kauf genommen, dass der Kläger aufgrund ihrer Schilderungen in der Öffentlichkeit als herzloser Vater, der grundlos von heute auf morgen den Kontakt zu seinen Kindern abgebrochen hat, bloß gestellt wird, ohne sich dagegen zur Wehr setzen zu können. Die Beklagte kann nicht geltend machen, dass sie im Umgang mit der Presse unerfahren sei, denn der Beklagten war nach ihren eigenen Angaben bewusst, dass der Artikel über die familiäre Situation des Klägers in "reißerische Weise" gestaltet werden würde, als sie sich an die Bild-Zeitung wandte und den Reportern Fotos vom Kläger über...