Entscheidungsstichwort (Thema)
Streitwertbemessung: Überschießender Wert eines Prozessvergleichs zur Abgeltung eines auf Feststellung gerichteten Klagebegehrens
Leitsatz (amtlich)
Begründen die Parteien im Vergleichswege eine vollstreckbare Leistungspflicht der Beklagtenseite, obgleich das klägerische Begehren lediglich auf Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses gerichtet war, ist ein gebührenrechtlich relevanter Mehrwert des Vergleichs gegeben, der der Höhe nach dem bei Bemessung des Streitwerts des Feststellungsantrags vorgenommenen Abschlag (dem "Feststellungsminderwert") entspricht (entgegen OLG Hamm, Beschluss vom 22. Mai 2018 - I-7 W 9/18, 7 W 9/18; OLG Nürnberg, Beschlüsse vom 22. März und 18. April 2012 - 8 W 390/12).
Normenkette
GKG § 48 Abs. 1; ZPO § 3 ff.
Verfahrensgang
LG Bremen (Aktenzeichen 6 O 1844/16) |
Tenor
wird der Streitwert für das Verfahren (erste und zweite Instanz) auf 130.226,18 EUR und der Vergleichswert auf 157.849,92 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger hat Ansprüche aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung geltend gemacht.
Der Kläger unterhielt vom 01.07.2005 bis zum 30.06.2020 bei der Beklagten eine Berufsunfähigkeitsversicherung. Mit seiner der Beklagten am 19.12.2016 zugestellten Klage hat der Kläger u.a. beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 19.731,24 EUR nebst Zinsen (entspricht der Berufsunfähigkeitsrente für den Zeitraum vom 01.06.2016 bis 30.11.2016) (Antrag zu 1)) sowie von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Antrag zu 3)) zu verurteilen und des Weiteren festzustellen, dass auch über den 10.06.2016 hinaus ein Anspruch auf Auszahlung einer monatlichen Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 3.288,54 EUR gegenüber der Beklagten bestehe (Antrag zu 2)). Das Landgericht Bremen hat der Klage mit Urteil vom 11.06.2020 vollumfänglich stattgegeben und den Streitwert mit Beschluss vom 17.08.2020 auf 157.849,92 EUR festgesetzt. Dabei hat es den Streitwert für den Antrag zu 1) mit 19.731,24 EUR und den Antrag zu 3) mit 138.118,68 EUR (entsprechend der ungekürzten dreieinhalbfachen Jahresrente) bemessen. Die Beklagte hat mit ihrer Berufung vom 17.07.2020 ihren erstinstanzlichen Klageabweisungsantrag weiterverfolgt.
Der Rechtsstreit ist durch gerichtlich festgestellten Prozessvergleich vom 29.01.2021 im Berufungsverfahren beendet worden. In dem Vergleich hat die Beklagte sich verpflichtet, zur endgültigen Abgeltung sämtlicher wechselseitiger Ansprüche aus der streitgegenständlichen Berufsunfähigkeitsversicherung einen Betrag in Höhe von 150.000,00 EUR an den Kläger zu zahlen.
II. Der Streitwert für die Gebühren des Verfahrens bestimmt sich über § 48 Abs. 1 GKG nach den Vorschriften der §§ 3 ff. ZPO und beträgt hier insgesamt 130.226,18 EUR. Von diesem Betrag entfallen auf den Antrag zu 1) 19.731,24 EUR und auf den Antrag zu 3) 110.494,94 EUR (dazu sogleich u. 1.). Der Wert des Vergleiches beträgt 157.849,92 EUR, so dass ein Vergleichsmehrwert in Höhe von 27.623,74 EUR besteht (dazu u. 2.).
1. Bei wiederkehrenden Leistungen, zu denen auch die Ansprüche auf Rente aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung gehören, ist der Wert - sofern kein Fall des § 9 Satz 2 ZPO gegeben ist - grundsätzlich nach § 9 Satz 1 ZPO zu bestimmen und entspricht danach dem dreieinhalbfachen Wert des einjährigen Bezuges. Soweit der Anspruch - wie hier - im Wege einer positiven Feststellungsklage verfolgt wird, ist von diesem Betrag ein Feststellungsabschlag vorzunehmen, der in der Rechtsprechung üblicherweise mit 20 % beziffert wird (vgl. BGH, Beschluss vom 30. April 2008 - III ZR 202/07; OLG Hamm, Beschluss vom 22. Mai 2018 - I-7 W 9/18 -, beide juris). Das gilt auch dann, wenn - wie vorliegend - zu erwarten ist, dass die Schuldnerin, ein großes Versicherungsunternehmen, sich bereits dem Feststellungsausspruch beugen wird (BGH, a.a.O.; Herget in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 3 ZPO, Rn. 16_76). Der Streitwert für den Feststellungsantrag zu 3) beträgt danach 110.494,94 EUR (138.118,68 EUR × 0,8). Soweit das Landgericht in seinem Beschluss vom 17.08.2020 den Wert des Antrags zu 3) in ungekürzter Höhe berücksichtigt hat, war der Streitwert gemäß § 63 Abs. 3 GKG von Amts wegen zu ändern.
Hinzuzurechnen sind nach § 42 Abs. 3 GKG zudem die bei Klageeinreichung bereits fälligen Rentenbeträge in Höhe von 19.731,24 EUR, die der Kläger mit seinem Antrag zu 1) verfolgt. Der Antrag zu 2) (vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten) bleibt - da auf eine Nebenforderung gerichtet - bei der Bestimmung des Streitwerts hingegen unberücksichtigt (§ 43 Abs. 1 GKG), so dass sich ein Gesamtstreitwert für das Verfahren in der tenorierten Höhe ergibt.
2. Der Wert des zwischen den Parteien geschlossenen Abfindungsvergleichs beträgt 157.849,92 EUR, der überschießende Vergleichswert danach 27.623,74 EUR.
a. Einen Vergleichsmehrwert hat die Rechtsprechung bei Abfindungsvergleichen im Zusammenhang mit der Geltendmachung von Rentenansprüchen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung soweit ersichtlich bislang nur in solchen Fäll...