Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirksamwerden früher getroffener letztwiliiger Verfügungen bei Ausschlagung der Erbschaft durch den überlebenden Ehegatten

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Aufhebung eines gemeinschaftlichen Testaments in einem gerichtlichen Vergleich, geschlossen ohne Anwesenheit der Ehegatten im Termin, ist formunwirksam.

2. Schlägt bei einem gemeinschaftlichen Testament der überlebende Ehegatte die Erbschaft wirksam aus, so werden nicht nur seine zuvor getroffenen letztwilligen Verfügungen wirksam, die zunächst mit Rücksicht auf die wechselbezüglichen Verfügungen im gemeinschaftlichen Testament unwirksam waren; dies gilt vielmehr auch für die entsprechenden des vorverstorbenen Ehepartners (entgegen OLG Karlsruhe, OLG- Report 1999, 26).

 

Normenkette

BGB §§ 2274, 2270-2271

 

Verfahrensgang

AG Bremen (Beschluss vom 04.08.2010; Aktenzeichen 36 VI 19/12)

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1. vom 28.10.2010 gegen den Beschluss des AG Bremen vom 4.8.2010 wird dieser aufgehoben und das AG angewiesen, der Antragstellerin den beantragten Erbschein zu erteilen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Beteiligte zu 2.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Der Gegenstandswert wird auf 15.788 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Mit notariellem "Gegenseitigen Testament" des Notars S. vom 3.3.1981(UR- Nr. 26/81) setzten sich die Erblasserin und ihr Ehemann gegenseitig zu Alleinerben ein sowie die Tochter H. des Ehemannes zur Alleinerbin des Letztversterbenden unter Ausschluss seiner zwei weiteren Töchter. Durch handschriftlichen Nachtrag vom 30.9.1985 ergänzten die Ehegatten dieses Testament dahingehend, dass nunmehr auch die weitere Tochter C. des Ehemannes, die Beteiligte zu 2., bedacht werden sollte in Höhe ihres gesetzlichen Erbteils, jedoch nur in Höhe der Hälfte der zunächst allein bedachten Tochter H..

Im weiteren Verlauf kam es zur Trennung der Ehegatten. Am 6.7.2001 schlossen sie vor dem AG Syke - Familiengericht- zu gerichtlichem Protokoll einen als "Trennungsvereinbarung" bezeichneten Vergleich, u.a. über den Trennungsunterhalt. Hierin hoben sie zudem das genannte notarielle Testament sowie etwaige weitere gegenseitige Verfügungen von Todes wegen ersatzlos auf. Anwesend bei dem gerichtlichen Termin waren lediglich die Parteivertreter der Eheleute, nicht diese persönlich.

Im Folgenden testierten beide Eheleute neu, die Erblasserin u.a. durch handschriftliches Testament vom 29.10.2007, durch das sie ihr Patenkind, die Beteiligte zu 1. und Antragstellerin, zur Alleinerbin einsetzte, der Ehemann, indem er durch notarielles Testament vom 29.8.2006 seine nunmehrige Lebensgefährtin zur Alleinerbin einsetzte.

Nach dem Tode der Erblasserin am 28.3.2009 beantragte die Antragstellerin beim AG Bremen unter Berufung auf das Testament vom 29.10.2007 einen Erbschein, durch den sie als Alleinerbin der Verstorbenen ausgewiesen wird.

Mit Verfügungen vom 8.2.2010 und vom 26.3.2010 wies das AG darauf hin, dass das ursprüngliche notarielle Testament nicht formwirksam aufgehoben worden sei, da die Ehegatten bei der Vergleichsprotokollierung nicht anwesend gewesen seien. Die im Testament enthaltenen wechselseitigen Verfügungen stünden dem nachfolgenden Testament der Erblasserin und damit der Erteilung des beantragten Erbscheins entgegen. Dementsprechend lehnte das AG mit Beschluss vom 4.8.2010 dessen Erteilung ab. Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde.

Schon vor Erlass des angefochtenen Beschlusses hatte der Ehemann mit notariell beglaubigter Erklärung vom 24.6.2010, eingegangen beim AG am 25.6.2010, die Erbschaft nach seiner verstorbenen Ehefrau ausgeschlagen und zugleich seine in dem gemeinsamen Testament getroffenen Verfügungen widerrufen. Dabei wies er darauf hin, dass er erst am 19. bzw. 21.5.2010 davon Kenntnis erlangt habe, dass die Aufhebung des gemeinsamen Testaments in dem gerichtlichen Vergleich unwirksam sei. Diese Ausschlagungserklärung lag der Richterin bei Erlass des angefochtenen Beschlusses nicht vor. Auch nach Kenntnis hiervon hielt das AG jedoch an seiner ablehnenden Entscheidung hinsichtlich des begehrten Erbscheines im Nichtabhilfebeschluss vom 24.4.2012 mit der Begründung fest, die wirksame Erbausschlagung durch den Ehemann führe nicht dazu, dass formunwirksam unter Verstoß gegen das gemeinschaftliche Testament getroffene Verfügungen der Erblasserin nachträglich wirksam geworden wären.

Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin verfolgt ihren Erbscheinsantrag mit der Beschwerde weiter. Die Beteiligte zu 2. beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen und beantragt vor dem AG ihrerseits einen Erbschein, durch den ihre Schwester Hildegard und sie entsprechend dem notariellen Testament vom 3.3.1981 und seiner Ergänzung vom 30.9.1985 zu 2/3 bzw. 1/3 Erbinnen der Erblasserin geworden sind.

II.1. Die Beschwerde ist zulässig gemäß den §§ 58 ff. FamFG, sie ist insbesondere fristgerecht eingelegt worden. Der angefochtene Beschluss ist vom AG erst am 13.10.2010 an den Notar der Beschwerdeführerin übersan...

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