Entscheidungsstichwort (Thema)

Zu den Voraussetzungen des Erlasses einer auf Herausgabe gerichteten einstweiligen Verfügung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Erlass einer auf Herausgabe gerichteten einstweiligen Verfügung kommt nur in seltenen Ausnahmefällen in Betracht. Voraussetzung ist, dass der Antragsteller die Sache so dringend benötigt, dass allein ihre Sicherstellung oder Sequestrierung zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nicht ausreicht. Dies kann z.B. der Fall sein, weil er auf die Sache zur Abwendung einer unmittelbar gegenwärtigen Existenzgefährdung, zur Behebung einer anders nicht zu bewältigenden, existentiellen Notlage, zur Vermeidung eines die Existenz gefährdenden, unverhältnismäßigen Schadens oder zur Abwendung eines endgültigen, irreparablen Rechtsverlustes dringend angewiesen ist.

2. Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung ist auch zu berücksichtigen, dass die Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrecht nicht nur der Sicherung des Anspruchs, sondern auch dazu dient, auf den Schuldner Druck auszuüben, dass dieser seine Verbindlichkeit erfüllt.

 

Normenkette

BGB §§ 273, 1000; ZPO §§ 91a, 935 ff.

 

Verfahrensgang

LG Bremen (Aktenzeichen 4 O 927/19)

 

Tenor

Nach Erledigung der Beschwerde in der Hauptsache werden die Kosten des Verfahrens der Antragstellerin auferlegt.

Der Beschwerdewert wird festgesetzt auf 10.000.000,00 EUR.

 

Gründe

I. Die Antragstellerin war Alleineigentümerin des im Dienst der Bundeswehr stehenden Segelschulschiffs Gorch Fock, das die Deutsche Marine insbesondere für die Ausbildung des Offiziersnachwuchses einsetzt. Dass die Antragstellerin derzeit Eigentümerin des Schiffsrumpfes ist, zieht die Antragsgegnerin in Zweifel.

Ende des Jahres 2015 beauftragte die Antragstellerin die X. Werft AG mit Instandsetzungsarbeiten an dem Schiff. Da die X. Werft AG nicht über das für diese Arbeiten erforderliche Schwimm- oder Trockendock verfügte, mietete sie bei der Antragsgegnerin ein Schwimmdock an, in welchem die Gorch Fock seitdem lag. Im Auftrag der X. Werft AG führte die Antragsgegnerin auch selbst schiffbauliche Arbeiten an der Gorch Fock durch. Anfang Februar 2019 schlossen die Antragstellerin und die Antragsgegnerin unmittelbar miteinander einen Mietvertrag über den Dock-Liegeplatz inklusive diverserer Nebenleistungen. Anfang Mai 2019 wurde über das Vermögen der X. Werft AG das Insolvenzverfahren eröffnet.

Die Antragstellerin beabsichtigte, die Gorch Fock am 21.06.2019 auszudocken. Ab dem 26.06.2019 sollten dann weitere Instandsetzungsarbeiten in der Y. Werft in Z. vorgenommen werden. Die Antragsgegnerin machte gegenüber der Antragstellerin ein Zurückbehaltungsrecht an der Gorch Fock geltend. Dieses bestehe aufgrund offener Verwendungsersatzansprüche in Höhe von 10.485.516,78 EUR, die aufgrund ihrer Arbeiten an der Gorch Fock begründet seien.

Die Antragstellerin geht davon aus, dass etwaige offene Forderungen der Antragsgegnerin ausschließlich gegen die X. Wert AG, jedenfalls nicht gegen die Antragstellerin, bestehen. Sie habe bereits alle auf den Instandsetzungsarbeiten an der Gorch Fock und der Miete des Docking-Liegeplatzes beruhenden Ansprüche erfüllt.

Die Antragstellerin begründete die Eilbedürftigkeit der erhobenen Ansprüche in erster Linie mit der Entstehung erheblicher Stillstands- und Folgekosten für den Fall, dass sie erst auf den rechtskräftigten Abschluss eines Hauptsacheverfahrens würde warten müssen. Außerdem befürchtete die Antragstellerin wegen der grundlegenden Bedeutung der Gorch Fock für die Ausbildung des Offiziersnachwuchses den Verlust zentraler seemännischer Fähigkeiten sowie von Führungs- und Einsatzkompetenzen. Gleichwertiger Ersatz für die Gorch Fock stehe derzeit nicht, jedenfalls nicht für eine ausreichende Dauer, zur Verfügung.

Die Antragstellerin hat erstinstanzlich beantragt,

der Antragsgegnerin aufzugeben,

das auf deren Betriebsgelände [...], in deren Schwimmdock (Dock 1) liegende Segelschulschiff "GORCH FOCK" an die Antragstellerin herauszugeben,

die für das Ausdocken des Segelschulschiffs "GORCH FOCK" erforderlichen Mitwirkungshandlungen, insbesondere die Stellung des Dockmeisters mit dem Auftrag, das Ausdocken in Abstimmung mit den übrigen Beteiligten, namentlich dem Bordkommando der "GORCH FOCK" und den Mitarbeitern der X. Werft AG, [...] vorzunehmen und im Übrigen die Herausnahme des Schiffs aus dem o.a. Schwimmdock zu dulden.

Die Antragsgegnerin hatte unter dem 09.05.2019 bei dem zentralen Schutzschriftregister und diversen Landgerichten, u.a. dem Landgericht Bremen, eine Schutzschrift hinterlegt.

Das Landgericht hat den Antrag der Antragstellerin mit Beschluss vom 18.06.2019 zurückgewiesen. Die engen Voraussetzungen der von der Antragstellerin begehrten Leistungsverfügung, die mit einer Vorwegnahme der Hauptsache einhergehe, seien nicht gegeben. Der Antragstellerin drohe weder die Existenzvernichtung noch habe sie dargetan, dass sie oder ein militärischer Bündnispartner ohne die Herausgabe der Gorch Fock in eine akut kritische Sicherheitslage geraten könnte...

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