Entscheidungsstichwort (Thema)
Unzureichende Sachverhaltsaufklärung als ein zur Aufhebung und Zurückverweisung führender wesentlicher Verfahrensmangel in einem Umgangsverfahren
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Einschränkung des Umgangsrechts gemäß § 1684 Abs. 3 und 4 BGB ist nur veranlasst, wenn nach den Umständen des Einzelfalls der Schutz des Kindes dies erfordert, um eine Gefährdung seiner seelischen oder körperlichen Entwicklung abzuwehren.
2. Werden die Umstände des Einzelfalles vom erstinstanzlichen Gericht nur unzureichend aufgeklärt, liegt ein Verfahrensmangel i.S.d. § 69 Abs. 1 S. 3 FamFG vor, der zu einer Aufhebung und Zurückverweisung der Sache führen kann.
3. Angesichts der in Verfahren nach § 1684 Abs. 4 BGB strengen verfassungs- und einfachrechtlichen Maßstäbe hätte das AG hier erneut ein familienpsychologisches Sachverständigengutachten einholen müssen, bevor es einen Umgangsausschluss anordnet.
Normenkette
BGB § 1684 Abs. 3-4; FamFG § 69 Abs. 1 S. 3; GG Art. 6 Abs. 2
Verfahrensgang
AG Bremerhaven (Beschluss vom 18.12.2015; Aktenzeichen 152 F 73/13) |
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Kindesvaters wird der Beschluss des AG - Familiengericht - Bremerhaven vom 18.12.2015 sowie das ihm zugrundeliegende Verfahren aufgehoben und die Sache an das AG - Familiengericht - Bremerhaven zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
2. Von der Erhebung der Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens wird abgesehen. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
3. Dem Kindesvater wird ratenfreie Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt [...], für das Beschwerdeverfahren bewilligt. Die Beiordnung erfolgt mit der Maßgabe, dass die Mehrkosten, die dadurch entstehen, dass der beigeordnete Rechtsanwalt seine Kanzlei nicht im Bezirk des Beschwerdegerichts hat, nur bis zur Höhe der Vergütung eines Verkehrsanwaltes am Wohnort des Verfahrenskostenhilfe begehrenden Antragstellers erstattungsfähig sind.
4. Der Kindesmutter wird ratenfreie Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin [...], für das Beschwerdeverfahren bewilligt.
5. Verbessern sich die wirtschaftlichen Verhältnisse des jeweiligen VKH-Antragstellers wesentlich oder ändert sich seine Anschrift, ist dies dem Gericht unverzüglich mitzuteilen. Das Gericht soll bei wesentlicher Änderung der persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse nachträglich die Zahlung der Kosten oder Ratenzahlungen anordnen (§ 76 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 120a Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 S. 1 ZPO).
6. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Es geht um das Umgangsrecht des Kindesvaters mit seiner Tochter X., geboren am [...].
Die Kindeseltern führten eine nichteheliche Lebensgemeinschaft, aus der am 12.8.2009 ihre gemeinsame Tochter X. hervorgegangen ist. Bereits vor deren Geburt hat der Kindesvater die Vaterschaft anerkannt und es ist eine gemeinsame Sorgeerklärung durch die Kindeseltern abgegeben worden. Im März 2012 haben sich die Kindeseltern getrennt. Die Kindesmutter hat inzwischen geheiratet. Am 15.3.2013 ist die Halbschwester X. s geboren worden. X. lebt mit ihrer Mutter, dessen Ehemann und der Halbschwester zusammen in B.
Nach der Trennung haben sich die Kindeseltern im Juni 2012 auf eine Regelung des Umgangs zwischen Vater und Tochter verständigt. Der Kindesvater hat am 29.6.2012 einen Antrag auf Übertragung des Sorgerechts allein auf ihn sowie hilfsweise auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für X. gestellt. Das Sorgerechtsverfahren ist ebenfalls vor dem AG - Familiengericht - Bremerhaven anhängig geworden. Mit Beschluss vom 18.3.2016 hat das AG Bremerhaven in jenem Verfahren der Kindesmutter die alleinige Sorge für X. übertragen. Diese Entscheidung ist allerdings aufgrund der Beschwerde des Kindesvaters durch den Senat mit Beschluss vom heutigen Tage aufgehoben worden (Geschäftsnummer 4 UF 46/16).
Das vorliegende Verfahren ist durch den Antrag des Kindesvaters vom 23.1.2013 eingeleitet worden, nachdem die Kindesmutter im Januar 2013 die Umgangskontakte zwischen ihm und X. eingestellt hatte. Mit Schriftsatz vom 7.2.2013 hat die Kindesmutter die Aussetzung von Umgangskontakten beantragt, was sie mit Verhaltensauffälligkeiten des Kindes nach dem letzten Besuchskontakt im Zeitraum vom 4.1. bis 6.1.2013 begründet hat. Gegenüber dem X. beigeordneten Verfahrensbeistand hat die Kindesmutter geäußert, sie habe konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Kindesvater die Tochter sexuell missbraucht habe. Sie könne sich zwar nicht vorstellen, dass er so etwas getan habe, aber X. s Aussagen seien eindeutig gewesen, sodass ihr keine andere Wahl geblieben sei, als "diesen Vorwürfen nachzugehen". Trotz der Vorfälle frage X. aber nach ihrem Vater. Nach der mündlichen Anhörung der Beteiligten im Februar 2013 ist mit Beschluss vom 25.2.2013 die Einholung eines schriftlichen fachpsychologischen Gutachtens über die Frage angeordnet worden, welche Umgangsregelung dem Wohl des Kindes am besten entspreche. Der Sachverständige solle...