Entscheidungsstichwort (Thema)
Einordnung der Bremischen Coronaverordnung als Zeitgesetz. kein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot bei Verurteilung zu einer Geldbuße auf der Grundlage der Bremischen Coronaverordnung i.V.m. dem Infektionsschutzgesetz. zur Definition des Tatbestandsmerkmals der Menschenansammlung. Ordnungswidrigkeitenrecht. Coronaverordnung. Zeitgesetz. kein Verstoß gegen die Verordnungsermächtigung. Zitiergebot. Bestimmtheitsgebot. Blanketttatbestand. Menschenansammlung. Gebot der verfassungskonformen Auslegung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Bremische Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 vom 03.04.2020 in der Fassung der Verordnung zur Änderung der Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 vom 09.04.2020 ist ein Zeitgesetz im engeren Sinne, welches die Anwendung des Meistbegünstigungsprinzips des § 4 Abs. 3 OWiG ausnahmsweise ausschließt.
2. Eine Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Beteiligung an einer verbotenen sonstigen Menschenansammlung im öffentlichen Raum auf der Grundlage der §§ 6 Abs. 1, 19 Abs. 1 Nr. 7 der Bremischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 vom 03.04.2020 in der Fassung der Verordnung zur Änderung der Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 vom 09.04.2020 i. V. m. § 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG verstößt nicht gegen das Bestimmtheitsgebot.
3. Unter dem Begriff der Menschenansammlung im Sinne des § 6 Abs. 1 der Bremischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 vom 03.04.2020 in der Fassung der Verordnung zur Änderung der Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 vom 09.04.2020 ist jede körperliche Zusammenkunft einer Mehrzahl von mindestens drei Personen mit einem inneren Bezug oder einer äußeren Verklammerung zu verstehen, wodurch im Wege der verfassungskonformen Auslegung ausgeschlossen werden kann, dass die bloße gleichzeitige Anwesenheit mehrerer Menschen den Tatbestand erfüllt.
Normenkette
GG Art. 80 Abs. 1, Art. 103 Abs. 2; OWiG §§ 3-4; IfSG § 28 Abs. 1, §§ 32, 73 Abs. 1a Nr. 24; Coronaverordnung HB (n.amtl.Abk.) § 5 Abs. 1 Fassung: 2020-04-09, Abs. 2 Fassung: 2020-04-09, § 6 Abs. 1 Fassung: 2020-04-09; Coronaverordnung HB (n.amtl.Abk.) (i.d.F.v. 09.04.2020) § 19 Abs. 1 Nr. 7; Bremische Verordnung über die zuständigen Behörden nach dem Infektionsschutzgesetz § 6 S. 1 Fassung: 2018-09-11
Verfahrensgang
AG Bremen (Entscheidung vom 29.10.2020; Aktenzeichen 84 OWi 286 Js 48017/20) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen vom 05.11.2020 gegen das Urteil des Amtsgerichts Bremen vom 29.10.2020 wird auf ihre Kosten als offensichtlich unbegründet verworfen.
Gründe
I.
Das Ordnungsamt - Allgemeine Ordnungswidrigkeiten - der Freien Hansestadt Bremen erließ am 28.04.2020 gegen die Betroffene einen Bußgeldbescheid, in welchem ihr vorgeworfen wird, sich am 17.04.2020 um 16:34 Uhr in Bremen, [...], in der Öffentlichkeit mit sechs weiteren Personen getroffen zu haben, die nicht ausschließlich zu ihrem Familienkreis gehören oder sich eine Wohnung bzw. gewöhnliche Unterkunft mir ihr teilen. Dieser Sachverhalt wurde als Ordnungswidrigkeit gemäß § 19 Abs. 1 Nr. 7 der bremischen Coronaverordnung in Verbindung mit § 73 Abs. 1a Nr. 24 des Infektionsschutzgesetzes als Beteiligung an einer sonstigen Menschenansammlung im öffentlichen Raum geahndet. Es wurde eine Geldbuße von 150,00 Euro gegen die Betroffene festgesetzt. Der Verteidiger legte fristgerecht Einspruch gegen den Bußgeldbescheid ein.
Mit Urteil vom 29.10.2020 verhängte das Amtsgericht Bremen gegen die Betroffene eine Geldbuße von 100,00 Euro wegen vorsätzlicher Beteiligung an einer verbotenen sonstigen Menschenansammlung im öffentlichen Raum. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass sich die Betroffene am 17.04.2020 entsprechend einer Verabredung zusammen mit fünf weiteren Personen, bei denen es sich nicht um Familienmitglieder oder sonstige Personen handelt, mit denen sie sich eine Wohnung teilt, im Bereich des Strandes [...] an der Straße [...], aufhielt und sich gemeinsam mit den anderen fünf Personen dort auf mitgebrachten Handtüchern und mit Rucksäcken für einen längeren Aufenthalt niedergelassen hatte. Durch die Handtücher sollte der Mindestabstand zwischen den Personen gewahrt werden. Der Betroffenen war dabei bewusst, dass sie durch ihr Verhalten gegen die bestehende Corona-VO-HB verstoßen würde. Als angewendete Vorschriften werden die §§ 6 Abs. 1, 19 Abs. 1 Nr. 7 der Bremischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 (CoronaVO-HB) mit Gültigkeit vom 10.04.2020 bis 19.04.2020, § 73 Abs. 1a Nr. 24 des Infektionsschutzgesetzes genannt.
Mit Schriftsatz vom 05.11.2020, eingegangen bei Gericht am gleichen Tag, beantragte der Verteidiger, gegen das vom Amtsgericht Bremen am 29.10.2020 verkündete Urteil die Rechtsbeschwerde zuzulassen. Das Urteil mit schriftlichen Urteilsgründen wurde dem Verteidiger am 07.12.2020 förmli...