Entscheidungsstichwort (Thema)
Behördliches Vaterschaftsanfechtungsrecht
Leitsatz (amtlich)
Die gesetzliche Regelung zur Anfechtung der Vaterschaft durch die zuständige Behörde (§ 1600 Ab. 1 Nr. 5 BGB) ist mit Art. 6 Abs. 5 und Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar. Zu dieser Frage wird eine Entscheidung des BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG eingeholt.
Normenkette
BGB § 1600 Abs. 1 Nr. 5 Abs. 3, § 1592 Nr. 2, § 1600 Abs. 3-4, § 1600b Abs. 1a; EGBGB Art. 229 § 16; GG Art. 6 Abs. 3, Art. 3 Abs. 1, Art. 100 Abs. 1
Verfahrensgang
AG Bremen (Aktenzeichen 153 F 274/09) |
Tenor
1. Das Verfahren wird dem BVerfG gem. Art. 100 Abs. 1 GG, § 80 BVerfGG zur Entscheidung über die Frage vorgelegt, ob § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB mit dem Grundgesetz (Art. 6 Abs. 5 GG und Art. 3 Abs. 1 GG) vereinbar ist.
2. Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des BVerfG ausgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerin begehrt mit der am 24.3.2009 beim AG - Familiengericht - Bremerhaven eingegangenen Klage die Feststellung, dass der Beklagte zu 2. nicht der Vater des Beklagten zu 1. ist.
Die Mutter des am [...] 2005 geborenen Beklagten zu 1. ist Staatsangehörige von Serbien-Montenegro. Der Beklagte zu 2., der die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, hat vor der Geburt des Beklagten zu 1. beim Landkreis C. - Amt für Jugendhilfe - durch Urkunde (Urkunden-Reg.-Nr.: [...]) vom 22.9.2005 die Vaterschaft für das beklagte Kind anerkannt. Im Juni 2008 hat der Beklagte zu 2. anlässlich einer Vorladung durch die Ausländerbehörde eingeräumt, nicht der leibliche Vater des Beklagten zu 1. zu sein. Daraufhin hat die Ausländerbehörde mit Zustimmung des Beklagten zu 2. und der Mutter des Beklagten zu 1. beim Klinikum B. ein Abstammungsgutachten eingeholt. Dieses am 7.7.2008 erstellte Gutachten hat ergeben, dass der Beklagte zu 2. nicht der Vater des Beklagten zu 1. ist.
Die Klägerin hat vorgetragen, eine sozialfamiliäre Beziehung zwischen den Beklagten habe zu keinem Zeitpunkt bestanden. Die Mutter des Beklagten zu 1. habe schon vor dessen Geburt mit ihrem irakischen Lebensgefährten zusammengelebt. Beide hätten ein im Januar 2008 geborenes gemeinsames Kind. Der Lebensgefährte sei wahrscheinlich auch der biologische Vater des Beklagten zu 1..
Der Beklagte zu 1. behauptet, dass nach seiner Geburt ein reger sozial-familiärer Kontakt zwischen ihm und dem Beklagten zu 2. bestanden habe. So habe der Beklagte zu 2. ihn jede Woche ca. 3 × mal besucht und sich um ihn gekümmert. Dieser persönliche Kontakt habe bis September 2006 bestanden. Erst im Januar 2007 sei der Kontakt zu dem Beklagten zu 2. abgebrochen. Im Übrigen äußert der Beklagte zu 1. Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift des § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB, weil das behördliche Anfechtungsrecht nur bei einer Anerkennung der Vaterschaft nach § 1592 Nr. 2 besteht, nicht aber, wenn das Kind während einer bestehenden Ehe geboren worden ist, selbst wenn die Ehe nur zur Erlangung ausländerrechtlicher Vorteile geschlossen worden ist. Dies führe - so der Beklagte zu 1. - zu einer Ungleichbehandlung nichtehelich geborener Kinder, weil die erfolgreiche Vaterschaftsanfechtung nach § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB zu einem Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit führe. Die genannte Vorschrift verstoße daher gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Außerdem werde durch die Anfechtungsregelung der Grundsatz des Vertrauensschutzes verletzt, da das Kind rückwirkend die deutsche Staatsangehörigkeit verliere.
Das AG - Familiengericht - Bremen hat durch Urteil vom 22.6.2010 festgestellt, dass der Beklagte zu 2. nicht der Vater des Beklagten zu 1. ist. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Voraussetzungen des § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB hier gegeben seien. Die Anfechtungsregelung verstoße nicht gegen Art. 3 GG, auch nicht gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes.
Hiergegen wendet sich der Beklagte zu 1. unter Aufrechterhaltung seines erstinstanzlichen Vorbringens mit der Berufung. Der Kläger verteidigt die Entscheidung des Familiengerichts.
II. Im vorliegenden Fall sind nach Art. 111 FGG-RG die bis zum 31.8.2009 geltenden verfahrensrechtlichen Bestimmungen anzuwenden, weil das Verfahren vor dem 1.9.2009 eingeleitet worden ist.
Die Berufung gegen das angefochtene Urteil ist zulässig (§§ 511, 517, 519, 520 ZPO). Für die Frage der Begründetheit kommt es auf die Verfassungsmäßigkeit des behördlichen Anfechtungsrechts gem. § 1600 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 3 BGB an. Bei Anwendung der genannten Bestimmung wäre die Berufung zurückzuweisen. Der Senat hält aber das behördliche Anfechtungsrecht für mit Art. 6 Abs. 5 GG und Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar. Das Verfahren ist daher gem. Art. 100 Abs. 1 GG, § 80 BVerfGG dem BVerfG vorzulegen. Hierzu im Einzelnen:
1. Rechtslage nach dem Gesetz
Nach § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB ist die zuständige Behörde berechtigt, in den Fällen der Vaterschaftsanerkennung nach § 1592 Nr. 2 BGB die Vaterschaft anzufechten. Die Anfechtung setzt voraus, dass zwischen dem Kind und dem Anerkennenden keine sozial-familiäre Beziehung besteht oder im Zeitpunkt der Anerkennung ...