Entscheidungsstichwort (Thema)

Ablehnung eines Rechtshilfeersuchens zur Anhörung eines minderjährigen Kindes

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Rechtshilfeersuchen zur Anhörung eines minderjährigen Kindes, das nicht gesetzlich verboten oder offensichtlich rechtsmissbräuchlich ist, darf vom ersuchten Gericht nicht abgelehnt werden.

2. Die Überprüfung, ob die eng auszulegenden Ausnahmevoraussetzungen vom Absehen der persönlichen Anhörung durch den erkennenden Familienrichter und für eine Übertragung der Anhörung auf den ersuchten Richter gegeben sind, obliegt nicht dem ersuchten Gericht, sondern bleibt dem Rechtsmittelverfahren gegen die mit der Anhörung vorzubereitende Entscheidung des Familiengerichts vorbehalten.

 

Normenkette

FamFG § 159 Abs. 1-2; GVG § 158 Abs. 1-2

 

Verfahrensgang

AG Bremerhaven (Aktenzeichen 151 F 1728/22)

 

Tenor

Dem Amtsgericht Bremen - Familiengericht - wird aufgegeben, im Wege der Rechtshilfe die Beteiligte zu 1) gemäß Beschluss des Amtsgerichts Bremerhaven vom 21.03.2023 anzuhören.

 

Gründe

I. Mit Beschluss vom 21.03.2023 hat das Amtsgericht Bremerhaven - Familiengericht - das Amtsgericht Bremen - Familiengericht - ersucht, die Beteiligte zu 1) im vorliegenden Abänderungsverfahren nach § 1696 BGB anzuhören.

Das Amtsgericht Bremen - Familiengericht - hat im Schreiben vom 13.04.2023 die Auffassung vertreten, dass die Voraussetzungen für ein Rechtshilfeersuchen nicht vorlägen, da es der 17-jährigen Beteiligten zu 1) zuzumuten sei, für eine Anhörung von Bremen nach Bremerhaven zu reisen. Zudem sei die Anhörung durch den ersuchten Richter nur in Ausnahmefällen möglich.

Durch Beschluss vom 21.04.2023 hat das Amtsgericht Bremerhaven - Familiengericht - das Verfahren gemäß § 159 GVG dem Hanseatischen Oberlandesgericht in Bremen zur Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtshilfeersuchens vom 21.03.2023 vorgelegt.

II. Die zulässige Beschwerde des Amtsgerichts Bremerhaven ist begründet.

1. Die Beschwerde ist nach § 159 GVG zulässig.

Nach § 159 Abs. 1 Satz 1 GVG entscheidet das Oberlandesgericht, zu dessen Bezirk das ersuchte Gericht gehört, sofern dieses das Ersuchen ablehnt. Damit ist das Oberlandesgericht Bremen zur Entscheidung befugt.

Die Antragsbefugnis des Amtsgerichts Bremerhaven für den eingelegten Rechtsbehelf einer Beschwerde im weiteren Sinn ist gegeben. Es handelt sich um eine so genannte Rechthilfebeschwerde, auf die die für Beschwerden geltenden Vorschriften nicht anwendbar sind (Mayer, in Kissel/Mayer/Mayer, GVG, 10. Aufl., § 159 Rn. 1). Das Amtsgericht Bremerhaven ist als ersuchendes Gericht für diese Beschwerde beschwerdeberechtigt gemäß § 159 Abs. 2 GVG (vgl. Mayer, in Kissel/Mayer, a.a.O., Rn. 8). Die Beschwerdeeinlegung unterliegt keinen Fristen (Kissel/Mayer, a.a.O., Rn. 12).

2. Die Beschwerde ist auch begründet. Das Amtsgericht Bremen ist verpflichtet, dem Rechtshilfeersuchen des Amtsgerichts Bremerhaven Folge zu leisten.

a) § 156 GVG regelt die Rechtshilfe innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit (§ 2 EGGVG). Rechtshilfe in Zivilsachen umfasst neben bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten auch Familiensachen und Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (§ 13 GVG). Die Abänderung einer Sorgerechtsentscheidung nach § 1696 BGB ist nach § 151 Nr. 1 FamFG eine Kindschaftssache und damit eine Familiensache gemäß § 111 Nr. 2 FamFG.

Nach § 158 Abs. 1 GVG darf das ersuchte Gericht ein Rechtshilfeersuchen nicht ablehnen. Davon macht § 158 Abs. 2 Satz 1 GVG nur dann eine Ausnahme, wenn die vorzunehmende Handlung nach dem Recht des ersuchten Gerichtes verboten ist und wenn es sich um kein Rechtshilfeersuchen eines im Rechtszuge vorgesetzten Gerichtes handelt. Diese Ausnahmevorschrift ist eng auszulegen (BAG, Beschluss vom 26.10.1999, 10 AS 5/99, juris, Rn. 20 m.w.N.). Ein Rechtshilfeersuchen darf nur abgelehnt werden, wenn die von dem ersuchten Gericht vorzunehmende Amtshandlung schlechthin unzulässig ist (OLG Brandenburg, Beschluss vom 26.09.2013, 1 (F) Sa 15/13, juris Rn. 6 m.w.N.). Damit scheidet eine Ablehnung des Rechtshilfeersuchens insbesondere dann aus, wenn das ersuchte Gericht die Durchführung der Rechtshilfe für überflüssig, unzweckmäßig und wenig Erfolg versprechend hält (LAG Nürnberg. Beschluss vom 21.07.2021, 3 Ta 49/21, juris Rn. 25). Auch kann eine Ablehnung des Rechtshilfeersuchens nicht damit begründet werden, die persönliche Anhörung durch den ersuchenden Richter sei erforderlich, um einen unmittelbaren Eindruck von dem Betroffenen zu erlangen (OLG Brandenburg, a.a.O., Rn. 6; OLG Frankfurt, Beschluss vom 10.09.2003, 20 W 312/03, juris Rn. 5).

Im vorliegenden Fall ist nicht ersichtlich, dass eine Ausnahme im Sinne des § 158 Abs. 2 GVG eingreift.

b) Das Amtsgericht Bremerhaven wird allerdings auf Folgendes hingewiesen:

Nach § 159 Abs. 1 FamFG hat das Gericht das Kind in Kindschaftssachen persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von dem Kind zu verschaffen. "Gericht" in diesem Sinne ist der erkennende Richter (Hammer, in Prütting/Helms, FamFG, 6. Aufl., § 159 Rn. 13; Stockm...

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