Entscheidungsstichwort (Thema)
Fristlose Kündigung einer Krankenversicherung durch den Versicherer; einstweilige Verfügung des Versicherten zur Feststellung der Verpflichtung des Versicherers, Behandlungskosten zu übernehmen
Leitsatz (amtlich)
1. Kündigt eine private Krankenversicherung die Verträge mit ihrem Versicherungsnehmer fristlos, kommt eine einstweilige Verfügung zur Feststellung der Verpflichtung des Krankenversicherers, die Kosten für eine vom Versicherungsnehmer gewünschte Behandlung zu übernehmen, nur bei einer existenziellen Notlage und damit nur dann in Betracht, wenn feststeht, dass der Versicherungsnehmer die Kosten einer lebenserhaltenden Behandlung nicht selbst tragen kann, die Behandlung als solche eilbedürftig ist und der Verfügungsbeklagte diese Kosten mit hoher Wahrscheinlichkeit wird erstatten müssen.
2. Eine solche Notlage ist dann nicht gegeben, wenn der Versicherungsnehmer nicht glaubhaft gemacht hat, dass er die Mittel für eine ihm nach § 193 VVG zustehende Krankenversicherung im Basistarif nicht tragen kann. Auch die Inanspruchnahme von Sozialleistungen ist zumutbar.
Normenkette
BGB § 314 Abs. 1 S. 1; VVG n.F. §§ 193, 206 Abs. 1 S. 1; ZPO § 522 Abs. 2, § 940
Verfahrensgang
LG Bremen (Aktenzeichen 6 O 1350/11) |
Tenor
1. Die Parteien werden darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtigt, die Berufung des Verfügungsklägers aus den auch unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens für zutreffend gehaltenen Gründen der angefochtenen Entscheidung durch einstimmigen Beschluss gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Der Verfügungskläger erhält gem. § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO eine Frist zur Stellungnahme von zwei Wochen.
3. Der Wert des Streitgegenstandes für die Berufungsinstanz wird auf EUR 19.032,38 festgesetzt.
4. Der Antrag des Verfügungsklägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Berufungsinstanz wird zurückgewiesen.
Gründe
I. Der Verfügungskläger wehrt sich gegen eine fristlose Kündigung seiner bei der Verfügungsbeklagten bestehenden privaten Krankenversicherung.
Der 72-jährige Verfügungskläger ist Arzt und gesundheitlich stark beeinträchtigt. Er sitzt wegen einer Lähmung der Beine seit 2010 im Rollstuhl und ist in die Pflegestufe 2 eingruppiert. Zwischen 2008 und 2010 kam es zu zahlreichen Krankenhausaufenthalten, ein weiterer Krankenhausaufenthalt steht bevor. Der Verfügungskläger unterhielt bei der Verfügungsbeklagten eine private Krankenvollversicherung sowie eine Pflegepflichtversicherung. Mit Schreiben vom 6.6.2011 warf die Verfügungsbeklagte ihm vor, es einigen Versicherten ermöglicht zu haben, sich auf betrügerische Art und Weise Versicherungsleistungen zu erschleichen, indem er fiktive Rechnungen und Nachweise über Arbeitsunfähigkeit ausgestellt habe. Unter Berufung auf Treu und Glauben kündigte die Verfügungsbeklagte deswegen alle bestehenden Verträge fristlos und stellte Schadensersatzforderungen in Aussicht. Tatsächlich hatte der Verfügungskläger aufgrund seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht mehr alle von ihm in Rechnung gestellten Behandlungen selbst durchgeführt, sondern sich des Öfteren von seinem Sohn, dem ebenfalls zur vertrags- und kassenärztlichen Tätigkeit zugelassenen Dr. M., vertreten lassen. Die Staatsanwaltschaft Bremen ermittelt gegen den Verfügungskläger wegen Abrechnungsbetruges, weil er seinen Patienten nicht erbrachte Leistungen berechnet habe und die Patienten sich die Rechnungsbeträge sodann von der Krankenversicherung "erstatten" lassen und mit ihm geteilt hätten. Der Verfügungskläger bezieht eine Rente i.H.v. rund 2.800 EUR. Davon zahlt er 850 EUR an Miete und weiterhin die monatlichen Krankenversicherungsbeiträge an die Verfügungsbeklagte i.H.v. 687,75 EUR, die ihm diese bislang nicht erstattet hat. Dem Verfügungskläger verbleibt danach ein Nettoeinkommen i.H.v. gut 1.200 EUR. Seine monatlichen Krankheitskosten i.H.v. über 6.000 EUR kann der Verfügungskläger nicht aus seinem Privatvermögen aufbringen. Seit der Weigerung der Verfügungsbeklagten, weiterhin Leistungen aus dem Versicherungsvertrag zu erbringen, sieht sich der Verfügungskläger bereits Forderungen einer Apotheke i.H.v. rund 8.000 EUR, eines Klinikums i.H.v. ca. 2.800 EUR, einer Firma für Medizinprodukte i.H.v. rund 4.600 EUR und einer Physiotherapiepraxis i.H.v. rund 1.500 EUR ausgesetzt.
Auf Antrag des Verfügungsklägers hat das LG mit Beschluss vom 28.7.2011 im Wege einer einstweiligen Verfügung festgestellt, dass die bei der Verfügungsbeklagten bestehenden Krankenversicherungen nicht infolge der fristlosen Kündigung unwirksam geworden sind, sondern fortbestehen. Hiergegen hat die Verfügungsbeklagte Widerspruch eingelegt.
Der Verfügungskläger hat behauptet, zu keiner Zeit fiktive Rechnungen oder unzutreffende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausgestellt zu haben. Er sei aufgrund seiner Erkrankungen dringend darauf angewiesen, eine Kranken- und Pflegeversicherung zu haben. Eine andere Krankenversicherung würde ihn wegen seines Gesundheitszustandes nicht aufnehmen und sch...