Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Zulässigkeit einer Abstinenzweisung nach § 68b Abs. 1 Nr. 10 StGB bei einem Suchtkranken. Strafprozessrecht. Strafvollstreckungsrecht. Führungsaufsicht. Abstinenzweisung. Verhältnismäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Abstinenzweisung nach § 68b Abs. 1 Nr. 10 StGB gegenüber einem suchtkranken Verurteilten ist nur unter Beachtung besonderer Anforderungen an die Zumutbarkeit dieser Weisung zulässig und erfordert eine Abwägung unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des jeweiligen Einzelfalls.
2. Hat der Suchtkranke bereits länger abstinent zu leben vermocht und ist ein Wille festzustellen, Rückfälle zu vermeiden und dazu aus einer früheren Therapie erlernte Verhaltensweisen anzuwenden, dann kann dies als Anhaltspunkt dafür angesehen werden, dass eine Abstinenzweisung keine unzumutbaren Anforderungen an den suchtkranken Verurteilten beinhaltet.
Normenkette
StGB § 68b Abs. 1 Nr. 10, Abs. 3, § 145a; StPO § 453 Abs. 2, § 463 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Bremen (Entscheidung vom 23.12.2021; Aktenzeichen 87 StVK 943/21 (733 Js 60832/13) |
Tenor
Die Beschwerde des Verurteilten vom 17.01.2022 gegen die mit Beschluss der 87. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bremen vom 23.12.2021 zu Ziffer V.3 erteilte Weisung wird auf Kosten des Verurteilten als unbegründet zurückgewiesen.
Gründe
I.
Mit Urteil vom 16.04.2014 verurteilte das Landgericht L. den Verurteilten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln, wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln sowie unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren. Zudem wurde im Urteil die Unterbringung des Verurteilten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB angeordnet. Die weitere Vollstreckung der gegen den Verurteilten verhängten Freiheitsstrafe wurde mit Beschluss der 59. Großen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts G. mit Sitz bei dem Amtsgericht R. vom 12.10.2017 zur Bewährung ausgesetzt, mit weiterem Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 02.11.2020 wurde diese Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen. Der Verurteilte verbüßte sodann die gegen ihn verhängte Freiheitsstrafe bis zur vorzeitigen Entlassung am 21.12.2021 (Strafzeitende wäre der 06.01.2022 gewesen) in der Justizvollzugsanstalt B.
Nach mündlicher Anhörung des Verurteilten am 21.12.2021 wurde mit Beschluss der 87. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bremen vom 23.12.2021 festgestellt, dass mit der Entlassung des Verurteilten aus der Strafhaft in dieser Sache Führungsaufsicht eintritt, deren Dauer auf drei Jahre festgelegt wurde. Dem Verurteilten wurde unter Ziffer V.3 dieses Beschlusses gemäß den §§ 68b Abs. 1, 145a StGB die strafbewehrte Weisung erteilt, während der Führungsaufsicht keine alkoholischen Getränke oder andere berauschende Mittel zu sich zu nehmen und der Führungsaufsichtsstelle und dem Gericht auf eigene Kosten vierteljährlich, erstmals im Februar 2022, die Ergebnisse vorgenommener Urinkontrollen (Cannabis, Amphetamine, Kokain) vorzulegen.
Gegen diesen Beschluss wendet sich der Verurteilte mit seinem als sofortige Beschwerde bezeichneten Rechtsmittel vom 30.12.2021, das er mit Schriftsatz vom 07.02.2022 begründet hat, wobei er in dieser Begründung klargestellt hat, dass sich sein Rechtsmittel gegen die Weisung unter Ziffer V.3 dieses Beschlusses richtet.
Die Generalstaatsanwaltschaft Bremen hat am 10.02.2022 Stellung genommen und beantragt, auf das Rechtsmittel des Verurteilten die unter Ziffer V.3. des Beschlusses vom 23.12.2021 erteilte Weisung aufzuheben.
Der Verurteilte hat mit Schriftsatz vom 16.02.2022 weiter Stellung genommen.
II.
Die Rechtsmittel des Verurteilten vom 30.12.2021, mit dem er sich gegen die Weisung unter Ziffer V.3 des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer 87 des Landgerichts Bremen vom 22.12.2021 wendet, ist statthaft als Beschwerde (§§ 463 Abs. 2, 453 Abs. 2 S. 1 StPO) sowie formgerecht eingelegt (§ 306 Abs. 1 StPO) und infolge der sich aus der Weisung ergebenden Beschwer für den Verurteilten damit zulässig. In der Sache bleibt die Beschwerde jedoch ohne Erfolg.
1.a. Die Erteilung von Weisungen im Rahmen der Führungsaufsicht kann als Maßnahme nach § 68b StGB nach den §§ 463 Abs. 2, 453 Abs. 2 S. 2 StPO mit einer Beschwerde nur unter Berufung darauf angegriffen werden, dass die angegriffene Weisung gesetzeswidrig ist. Die Erteilung einer Weisung nach § 68b StGB ist gesetzeswidrig, wenn sie im Gesetz nicht vorgesehen, unverhältnismäßig oder unzumutbar ist, oder sonst die Grenzen des dem erstinstanzlichen Gericht eingeräumten Ermessens überschreitet (vgl. die st. Rspr. des Senats, siehe zuletzt u.a. Hanseatisches OLG in Bremen, Beschluss vom 25.10.2018 - 1 Ws 100/18, juris Rn. 10, S...